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das Verfahren an dem Orte, wo fie aufgegriffen sind, nicht eingeleitet werden,
z. B. weil sich das Vormundschaftsgericht für örtlich unzuständig erklärt
(vgl. Ausführungsbestimmungen zum Fürsorgeerziehungsgesetz vom 18. De-
mber 1900 II. Abs. 4), so ist die Heimatsbehörde zwecks sofortiger Ein-
itung des Verfahrens ungesäumt zu benachrichtigen.
Bestrafung umherziehender Zigeuner.
13. Machen sich umherziehende Zigeuner einer Straftat schuldig, so sind
sie unnachsichtlich zur Bestrafung zu bringen. Die Polizeibehörden haben
dabei ihr Augenmerk nicht nur uur. die Zigeunerbanden, sondern auch auf
diejenigen eingeelnen Personen zu richten, welche nach ihrer äußeren Er-
scheinung, Lebensweise und Beschäftigungsart (Kesselflicker, Händler mit
lech= und Drahtwaren, Pferdehändler, Gaukler usfw.) als Zigeuner an-
zusprechen sind.
Zuvörderst ist allemal zu prüfen, ob nicht ein Fall der Landstreicherei
8 3612 des Reichsstrafgesetzbuches) vorliegt. Der Verdacht der Landstreicherei
ist begründet bei allen Personen, welche sich nach ihrem Auftreten und Ver-
halten zwecklos im Lande umhertreiben, weder genügende Unterhaltungs-
mittel haben, noch den Nachweis erbringen können, daß sie sich ernsthaft,
aber vergeblich um die Erlangung eines redlichen Erwerbes bemüht haben,
und welche sich über ihre Person nicht Shenügend ausweisen können. Bei
umherziehenden Zigeunern, welche keinen Wandergewerbeschein besitzen, werden
diese Boraussetzungen sehr häufig zutreffen. Aber auch bei Zigeunern, welche
sich im Besitz eines Wandergewerbescheines befinden, ist festzustellen, ob das
Wandergewerbe wirklich betrieben wird und ob es nicht vielmehr lediglich
als Deckmantel der Landstreicherei dient.
Eine Reihe anderer Strafbestimmungen, gegen welche gerade Zigeuner
häufig verstoßen, ist in der Anlage A zusammöngestelll
14. Sind strafbare Kondlungen der Zigeuner festgestellt, so sind die
Täter gemäß § 127 der Strafprozeßordnung festzunehmen und dem Gerichte
zur Einleitung des Strafverfahrens und zur Entscheidung über den Erlaß
eines Haftbefehls wr. In der dem Gerichte vorzulegenden Anzeige
find die einzelnen den Festgenommenen zur Last gelegten Straftaten zu be-
zeichnen. Die einliefernde Polizeibehörd hat bei dem Gerichte zu beantragen,
daß die Zigeuner nach der Entlassung aus der Untersuchungs= oder Straf-
haft ihr oder der von ihr zu benachrichtigenden Polizeibehörde des Gerichts-
ortes wieder zur Verfügung gestellt werden.
15. Bei allen Zigeunern, welche hiernach den Polizeibehörden von den
Gerichtsbehörden zur Verfügung gestellt worden sind, sowie bei denjenigen
Zigeunerbanden, gegen welche ein Strafverfahren nicht einzuleilen war, haben
die Polizeibehörden tunlichst dafür zu sorgen, daß die Zigeuner der Zeit
und Richtung nach voneinander getrennt entlassen und am bandenweisen
Weiterziehen verhindert werden. Zu diesem Zwecke können Er-kutiostrafen
angedroht und festgesetzt, nötigenfalls und beim Vorliegen der Voraus-
setzungen des § 6 des Gesetzes vom 12. Februar 1850 (G.-S. S. 45) auch
die Bandenführer in polizeiliche Bewahrung genommen werden, aus der sie
jedoch spätestens im Laufe des folgenden Tages entlassen werden müssen,
falls inzwischen nicht das Erforderliche veranlaßt ist, um sie einer etwa
anderweit zuständigen Behörde zu überweisen.
Besinden sich unter den Zigeunern unsichere Heerespflichtige, so ist wegen
ihrer sofortigen Einstellung gemäß § 66 Nr. 3c der Wehrordnung seitens
der Polizeibehörden ungesäumt dem Zioilvorsitzenden der Ersatzkommission