Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

Berufsvormund. 
den . 
1 und 2 gelten bei unehelichen Minder- 
jährigen auch dann, wenn diese unter der 
Aufsicht der Gemeindebeamten in der 
mütterlichen Familie erzogen oder ver- 
pflegt werden.‘ 
Hiernach können in Bayern jetzt 4 Ar- 
ten von Kindern unter Berufsvormund- 
schaft fallen (nach Barthelmeß): 
„1. Die Kinder, die in Wege der öffent- 
lichen Armenpflege in einer Anstalt oder 
in einer fremden Familie erzogen oder 
verpflegt werden, Armes 11 Nr 4; 
2. die unehelichen Kinder, die zwar in 
eigener Familie, aber mit Unterstützung 
der Armenpflege erzogen oder verpflegt 
werden, ArmGes 11 Nr 4; 
3. die Kostkinder, MBek 6. Febr 1906 
Ziff 5 (bayrJMBl 37 ff); 
4. die Zwangserziehungszöglinge, JM 
Bl 02 629.“ 
In Sachsen besteht die Generalvor- 
mundschaft eines von der Gemeinde zu 
bestimmenden Beamten, Ausf-B 37—39. 
Infolgedessen unterstehen z. B. in Leipzig 
alle unehelichen Kinder einer als erfolg- 
reich berühmten Generalvormundschaft. 
In Baden ist Schaffung der Generalvor- 
mundschaft der Gemeinde - oder Kreis- 
armenverwaltung möglich. So hat Tutt- 
lingen das Statut: 
„81. Die Armenkommission ist befugt, 
Beamten der Armenkommission auf die 
Dauer dieses Amtes alle Rechte und 
Pflichten eines Vormundes für dieje- 
nigen Minderjährigen zu übertragen, 
welche im Wege der öffentlichen Armen- 
pflege unterstützt und unter Aufsicht der 
Armenkommission entweder in einer von 
ihr ausgewählten Familie oder Anstalt 
oder, sofern es sich um uneheliche Min- 
derjährige handelt, in der mütterlichen 
Familie erzogen oder verpflegt werden.“ 
Elsaß-Lothringen hat zwar durch Ge- 
setz, AusfB 136—140 (Dekret vom 19. Jan 
1811), nur die Anstaltsvormundschaft. 
Indessen hat die Stadt Straßburg auf dem 
Verwaltungswege eine sehr erfolgreiche 
Sammelvormundschaft eingeführt. Die 
Justizverwaltung wies das Vormund- 
schaftsgericht an, die Vormundschaft über 
sämtliche unehelichen Kinder, von ge- 
wissen Ausnahmen abgesehen, einem von 
der Stadtverwaltung namhaft zu machen- 
den Beamten zu übertragen. Als Erfolg 
kann man es bezeichnen, daß der dortige 
Sammelvormund in 59,1% aller Fälle die 
.. Art 3: Die Vorschriften der Art ' 
  
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freiwillige (!) Zahlung der Unterhaltsbei- 
träge erzielte. Die Säuglingssterblichkeit 
saık bei den unehelichen von 30,500 
(1900) auf 23,40; (1906). Zu dem Groß- 
betriebe solcher Berufsvormundschaft der 
Städte gehört eine Neuordnung des Wai- 
senrates. Diese hat denn auch vielerorts, 
auch in Straßburg, stattgehabt. Es wur- 
den Gemeindewaisenpflegerinnen, -in- 
spektorinnen, -ärzte entgeltlich, zum Teil 
ehrenamtlich, angestellt. Diese vertreten 
den Sammelvormund in der ihm unmög- 
lichen persönlichen Aufsicht, namentlich 
auch über die Ziehkinder (Kostkinder, 
Pflegekinder), für welche eine Polizeiver- 
ordnung bestimmt: „Die Pflegerin (Zieh- 
mutter) ist gehalten, den mit der Beauf- 
sichtigung der Kostkinder beauftragten 
Organen der Polizeidirektion und der Ge- 
meindewaisenpflege die Kinder auf Ver- 
langen vorzuzeigen und den Zutritt zu den 
Wohnräumen zu gestatten, auch den auf 
die Pflege bezüglichen Anordnungen der 
Polizeidirektion, der Gemeindewaisen- 
pflegerinnen und der mit der Aufsicht be- 
trauten Ärzte Folge zu leisten... .‘‘ Der 
Stab von besoldeten und unbesoldeten 
Helfern untersteht dem Bv und hat die- 
sem zu berichten. 
Eine Schwierigkeit für den Bv besteht 
in manchen Punkten, bei welchen die Ver- 
fasser des B nicht an die Berufsvormund- 
schaft gedacht haben. Dahin gehört die 
Durchführung der Ansprüche aus B 1716 
(Sicherstellung des Kindesunterhaltes für 
die ersten 3 Monate durch auf Antrag der 
Mutter zu erwirkende einstweilige Verfü- 
gung). Der Antrag auf diese einstweilige 
Verfügung ist ein Privileg der Mutter des 
noch nicht geborenen Kindes, KG i. 
Entsch FG 2 116ff. Daher ist die Bestel- 
lung eines Pflegers für den „nasciturus‘‘, 
B 1912, unzulässig. Die Anträge der Bv 
auf Erlassen dieser einstweiligen Verfü- 
gung werden daher stets zurückgewiesen. 
Da nun aber zur erfolgreichen Arbeit des 
Bv erwünscht wäre, daß diese Forderung 
bei Geburt des Kindes bereits realisiert 
ist, so pflegt der Bv von den Müttern Pro- 
zeßvollmachten zu erbitten und dann das 
Recht der Mütter geltendzumachen. 
Eine ebensolche Schwierigkeit besteht, 
wenn dem Bv eine Erziehungspflegschaft 
über Jugendliche anvertraut werden soll, 
die sich strafbar gemacht haben, ohne daß 
den Inhaber der elterlichen Gewalt ein 
Verschulden träfe und ohne daß FE am
	        
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