Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

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richtungen eintreten. Damit ist er zur end- 
gültigen Lösung jeder Streitfrage, solang 
zu deren Entscheidung kein Richter be- 
rufen wird, mittels eigener Auslegung be- 
fugt. Liegt der Mangel in Verstößen der 
Reichsbeamtung, so hat er dem Reichs- 
kanzler, liegt er in Verstößen der Landes- 
organe (ohne Unterschied, ob die Aus- 
schreitung administrativer oder legisla- 
tiver Art ist), so hat er der Landesregie- 
rung geeignete Vorstellungen zu machen; 
ein Anordnungsrecht dieser gegenüber 
kann außerhalb des Exekutionswegs, 
R 19, reichsseitig nie angesprochen 
werden. 
Eine Reihe besonders wichtiger Verwal- 
tungsakte, von denen einzelne schon er- 
wähnt wurden, ist an die Zustimmung des 
BR, so insbesondere die Kriegserklä- 
rung, es sei denn, daß ein Angriff auf das 
Bundesgebiet oder dessen Küsten erfolgt, 
R 11 Abs 2, oder an seine anders be- 
nannte, sachlich ähnliche Mitwirkung ge- 
bunden; hierher gehören insbesondere 
Vorschlags- und Wahlrechte für Besetzung 
vieler Reichsbeamtungen, und bei ein- 
zelnen höchsten Ämtern, z. B. dem Reichs- 
versicherungsamt, ist er durch delegierte 
Mitglieder beteiligt. Für Feststellung der 
Reichsfinanz, R 69 ff, und verwandte Auf- 
gaben (Bankwesen, Kriegsschatz, Inva- 
lidenfonds), für Hintanhaltung der Justiz- 
verweigerung bestehen besondere Bestim- 
mungen über seine Betätigung. 
Man kann ihn direkt auch ein Organ 
der Justiz nennen, in folgenden Hin- 
sichten: 
1. Seine Beschlüsse über Bundes- 
pflichten und -exekution zufolge des Auf- 
sichtsrechts stellen sich, wenn es zum 
Äußersten kommt, als Staatsgerichtshofs- 
akte dar; 
2. die Schlichtung von inneren Verfas- 
sungsstreitigkeiten (zwischen Regierung 
und Landtag) in den Gliedstaaten beruft 
ihn als gütliche Schiedsinstanz, wobei frei- 
lich die Sache bei Mißlingen eines Aus- 
gleichs Gegenstand der Reichsgesetzge- 
bung wird, R 76 Abs 2. Dagegen kommt 
ihm 
3. die Streiterledigung bei nicht privat- 
rechtlichen Differenzen verschiedener 
Gliedstaaten, R 76 Abs 1, unterein- 
ander zu, auf Anrufen eines Teils, 
und er stellt sich darin als Erbe 
des Bundestags in seiner Austrägal- 
tätigkeit dar; hierbei ist jedoch aus der 
  
  
Bundesrat. 
Entstehungsgeschichte des Artikels her- 
vorzuheben die — unwidersprochen — 
von Hessen und Hamburg gemachte Vor- 
aussetzung, daß der BR in strittigen Rechts- 
und Beweisfragen, wenn ihm die gütliche 
Ausgleichung nicht gelingt, nicht selbst 
entscheide, sondern eine Austrägalinstanz 
(neuerdings wird meist das Reichsgericht 
gewählt) einsetze, der die streitenden 
Teile unterworfen würden, sowie die be- 
gehrte und bestehende Übung, daß bei Be- 
schlüssen im BR die streitenden Teile 
(diese können insbesondere ganz verschie- 
denes Stimmengewicht haben) sich der 
Votierung enthalten. Die Austrägalerle- 
digung ist nicht selten geschehen und zwar 
in Hoheits-, Grenz-, Steuer-, Wasser-, 
Eisenbahn-, vereinzelt auch in Thron- 
streiten. 
4. Auch sind dem BR gleichsam als 
einem obersten Verwaltungsgerichtshof 
des Reichs durch Spezialgesetze einzelne 
dem Gebiet der Administrativjustiz zuge- 
hörige Entscheide übertragen, welche 
Festungsrayonverhältnisse, Reichsbeam- 
tenrechte, Hafenfragen, Versicherungsge- 
nossenschaften, Konsularbezirke betreffen 
(Ges vom 30. und 31. Mai 1873, 19. Juni 
1883, 6. Juli 1884, 7. April 1900), aber 
keinerlei gemeinsames Prinzip, sondern 
praktische Aushilfen darstellen in Punkten, 
welche in dritte Hand zu geben weniger 
empfehlenswert erachtet wurde. 
Endlich tritt für den BR, weil er allein 
den Willen der Gesamtheit der Bundes- 
glieder auf einem fest geordneten Wege 
darzustellen geeignet und berufen ist, 
diese aber das Kondominium der Reichs- 
souveränität ausmachen, die Generalregel 
ein, daß alle Zuständigkeiten, welche nicht 
einem andern Organ zugewiesen sind, ihm 
gebühren, seine Kompetenz also eine um- 
fassende und präsumtive ist. Insbesondere 
ist hierzu auch die Leitung und Ausglei- 
chung des Bundesverhältnisses als Gan- 
zes zu rechnen und ist es auch für zulässig 
zu erachten und schon geübt worden, daß 
Bundesglieder, wo sie die Gerichte gegen- 
einander oder gegen das Reich angehen 
konnten, den BR zum Entscheid prorogiert 
haben. 
Außer den Staatsrechtslehrbüchern: Seydel in von 
Holtzendorffs und Brentanos Jahrb für Gesetzgebung 
etc NF 3 273 ff; Laband Bundesrat In von Stengels 
Wörterbuch des Verwaltungsrechts 1 248 ff; Anschütz 
Enzyklopädie usw 540 ff; Herwegen Reichsverfassung 
und Bundesrat, 02 (Bonner Dissertation); Kliemke 
Staatsrechtliche Natur und Stellung des Bundesrats, 04; 
v. Jagemann Deutsche Reichsverfassung, Vortrag VIL 
04; Kleine Zeitgrenze für die Zustimmung des Bundesratas 
zu den vom Reichstag beschlossenen Gesetzentwürfen, 05
	        
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