Carolina — Carpzov.
mittel sind Kundschaft, d. h. zwei klassi-
sche Zeugen, oder Geständnis. Ohne die-
sen Beweis ergeht keine Verurteilung. —
Um ein Geständnis zu erpressen, darf
beim Vorliegen dringender Anzeichen die
peinliche Frage gestellt, d. h. gefoltert
werden.
3. Anzeichen (Indizien) sind Umstände,
die einen Wahrscheinlichkeitsschluß auf
die Tat zulassen. — Indizien vor der Tat,
z. B. Motiv (Rache, Bereicherungs-
absicht) ; Indizien nach der Tat, z. B. Blut-
flecke, Vorhandensein von Geld. — An-
dere Einteilungen: Teilanzeichen und
Vollanzeichen; allgemeine und besondere
Anzeichen. — Das Alibi ist ein Gegen-
anzeichen. Die Notwehr (Art 143, 144) ist
ein Entlastungsanzeichen.
4. Das Verfahren ist im wesentlichen
schriftlich. Das Urteil wird im endlichen
Rechtstage eröffnet und darf nur auf Ver-
urteilung oder Freispruch lauten.
Vgl Schröder DRGesch 906. .
Carpzov, Benedikt, einer berühmten
sächsischen Juristenfamilie entstammend
(Stammtafel: Stintzing Gesch d. RwI
723, 11 56 Anm), * 27. Mai 1595 zu Witten-
berg, wurde nach ausgedehnten wissen-
schaftlichen Reisen 1620 Beisitzer des
Schöppenstuhls, daneben 1636 Assessor
am Oberhofgericht in Leipzig und 1639
Appellationsrat in Dresden, 1645 Ordina-
rius der Juristenfakultät in Leipzig, als
erster das protestantische Kirchenrecht
unter die akademischen Disziplinen auf-
nehmend, 1653 Geheimrat in Dresden und
t, 1661 wieder nach Leipzig zurückge-
kehrt, hier am 31. Aug 1666. Der berühm-
teste deutsche Jurist des 17. Jahrhunderts,
der trotz seiner Stellung als Rechtslehrer
im weitesten Umfange auch in der Praxis
tätig war, beherrschte er länger als ein
Jahrhundert die deutsche Theorie und
Praxis.
Auf den Grundlagen der Praxis und mit
ihrem Material das geltende Recht theo-
retisch mit sicherer, einheitlich durchge-
führter Methode darstellend, gelang ihm
die geschickte Verschmelzung der Theorie
des gemeinen Rechts mit den Ergebnis-
sen der neueren Gesetzgebung, der Ab-
schluß einer wichtigen Epoche der Ent-
wicklung der Rechtswissenschaft Deutsch-
lands, durch den er zum „Begründer einer
deutschen Rechtswissenschaft‘‘ wurde,
der in seinen epochemachenden Werken
fast vollständig das in Deutschland damals
Posener Rechtslexikon I.'
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geltende Recht dargestellt hat. Zwar als
Saxonist zunächst nur ein Partikularrecht
berücksichtigend, wenn dieses auch das
weitreichendste aller deutschen Partiku-
larrechte war, gab er doch mit seiner
Darstellung dieses Rechts als praktische
Umformung des gemeinen Rechtes des-
halb für das ganze deutsche Rechts-
gebiet als für den Herrschaftsbereich
des gemeinen Rechts Mustergültiges
und bewirkte durch die Autorität,
die seiner Darstellung in Sachsen bei-
gelegt wurde (die decisiones electo-
rales Saxonicae bestätigten 1661 seine
dogmatischen Ausführungen beinahe als
Gesetz), daß das sächsische Recht
vielfachen Einfluß auf die Entwicklung
des gemeinen Rechtes in Deutschland
gewann. Von den zahlreichen Schriften,
mit denen er sich bleibende Verdienste um
die Fortbildung des deutschen Rechtes er-
warb, können hier nur die wichtigsten ver-
zeichnet werden:
Practica nova imperialis Saxonica rerum
criminalium, Wittenberg 1638 (u. ö., Aus-
gabe letzter Hand 1665, herausgegeben
von Böhmer, Frankfurt 1758, 5), mitunter,
wenn auch nicht ganz zutreffend, als das
erste System des deutschen Straf- und
Strafprozeßrechtes bezeichnet, in dem
Carpzov die geschickte Verschmelzung
des römischen Rechtes (und der Carolina)
mit dem deutschen Rechte (Sachsenspie-
gel, sächsische Konstitutionen) gelang,
und das, vorzüglich auch durch die ver-
suchten scharfen Definitionen des Tatbe-
standes eines jeden Verbrechens, für die
Entwickelung der Strafrechtswissenschaft
epochemachend wurde, wenn auch (vom
modernen Standpunkte als solcher emp-
fundener) Mangel an Humanität und
Aberglaube (wie er Carpzov, einem ‚„Trä-
ger der Gesinnungen seiner Zeit‘, eigen
war) als Mängel das Verdienst des Buches
verkleinern. Immerhin hat Carpzov mit
ihm die Strafrechtstheorie auf „eine hö-
here Stufe gehoben, indem er an die Stelle
der rohen Utilität, welche bis dahin der
leitende Gedanke im Strafrecht war,
ethische Gesichtspunkte‘‘ aus seiner reli-
giösen Anschauung setzte. (Ein Auszug
aus diesem Werke erschien deutsch als
Anleitung für Praktiker unter dem Titel:
Peinlicher sächsischer Inquisitions und
Achts Prozeß 1638, 1662 u. ö.).
Jurisprudentia forensis Romano-Saxo-
nia secundum ordinem constitutionum D
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