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Hergenröther, Katholische Kirche und christlicher
Staat (18721 794 #0.
3. Die Legaltheorie, welche die Möglich-
keit einer rechtlichen Bindung des Staates durch
einen Konkordatsabschluß bestreitet, stützt sich vor
allem auf folgende Gründe. Einmal bestehe zwi-
schen Staat und Kirche keine Rechtsgemeinschaft,
innerhalb welcher ein Vertragschließen beider Teile
möglich sei. Sodann lasse sich die vertragsmäßige
rechtliche Bindung nicht vereinen mit der Sou-
veränität des modernen Staates. Beide Punkte
werden allerdings selbst von einem Anhänger der
Legaltheorie als „nur formale Gründe“ gegen die
rechtliche Bindung des Staates bezeichnet (Stutz
a. a. O. II 907). Das ernstere Bedenken ist das
aus der Souveränität des Staates genommene.
Die bestrittene Rechtsgemeinschaft zwischen Kirche
und Staat wird ja dadurch geschaffen, daß beide
Teile in gemeinsamer Vereinbarung bindende
Normen ihres gegenseitigen Verhaltens aufstellen.
„Die letzte Entscheidung über das Dasein dieser
Rechtsgemeinschaft liegt bei den Gemeinwesen, für
welche sie gelten soll, bei Kirche und Staat. Er-
kennen diese die vereinbarten Normen als für sie
bindend an, dann ist bei der psychologischen Natur
allen Rechts die feste Basis für die Existenz dieser
Rechtsgemeinschaft gegeben (Worte Jellineks [Das
Recht des modernen Staates. I. Allgem. Staats-
lehre (21905) 365) über die Existenz eines Völker-
rechts, die ich entsprechend auf die Rechtsgemein-
schaft zwischen Kirche und Staat angewandt habe).
Die Bedenken aus dem Souveränitätsanspruch
des modernen Staates, der auf seinem eignen
Lebensgebiete sich wesentliche Hoheitsrechte nicht
erst vertragsweise von Dritten brauche zugestehen
lassen und der ein eignes Selbstbestimmungsrecht
seiner Angelegenheiten verlangen könne, sind nicht
in jeder Beziehung von der Hand zu weisen.
Freilich gelten diese Bedenken weniger dem Kon-
kordatsbegriff als solchem, als vielmehr dem kon-
kreten Inhalt bestimmter Konkordate. So ist in
einzelnen neueren Konkordaten der Verzicht auf
bestimmte kirchliche Vor= und Sonderrechte frü-
herer Zeiten in einer Form ausgesprochen, bei der
der Eindruck nicht vermieden wird, als wäre die
Ausübung mancher dem modernen Staate wesent-
lichen Hoheitsrechte an die freie Zustimmung der
Kirche gebunden bzw. als stünde es der Kirche recht-
lich frei, sich diesen Hoheitsrechten schlechtweg zu
entziehen. Man kann sagen, die Betonung der
Souveränität des Staates gegenüber einer solchen
Auffassung hätte sogar einen gewissen defensiven
Charakter. Es handelte sich ja in diesem Falle,
was wir hervorheben, nicht um sog. staatliche
Kirchenhoheitsrechte, die von der katholischen Kirche
grundsätzlich nicht anerkannt werden können, sondern
um staatliche Hoheitsrechte in weltlichen Dingen.
Das Falsche an der Verwendung des Sou-
veränitätsbegriffes gegen die Möglichkeit einer
rechtlichen Bindung des Staates durch ein Kon-
kordat besteht darin, daß man die Souveränitäts-
Konkordate.
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vorstellung zu der Theorie ausbaut, es verbiete die
Souveränität nicht etwa nur eine bestimmt in-
haltliche, sondern überhaupt jede vertragsmäßige
Kerhubarung des Staates mit der katholischen
irche.
Die Verfechter dieser Theorie fühlen aber selbst,
daß sie mit ihrer Auffassung der Souveränität
eine solche Art von Staatsrecht sich zurechtlegen,
von der Treitschke (Politik II I1898J 340) in
anderem Zusammenhang sagt: „Was hat ein
Staatsrecht für einen Sinn, das die lebendige
Wirklichkeit als seinen Feind betrachten muß.“
Was Friedberg (Die Grenzen zwischen Staat und
Kirche und die Garantien gegen deren Verletzung
[1872] vm) als den in der Literatur über das
Verhältnis von Staat und Kirche oft vorkommen-
den Fehler bezeichnet, das trifft auch zu auf diese
Überspannung des Souveränitätsbegriffes, daß sie
nämlich „sich beständig von dem Boden des Kon-
kreten in das Gebiet blasser und unfruchtbarer
Abstraktionen verliert“. Sehr gut empfindet ein
neuerer Vertreter der Legaltheorie (Stutz) den
Widerspruch zwischen der formalen Begriffsjuristik
und der realen Wirklichkeit. „Das (d. i. die be-
hauptete rein „innerstaatliche Stellung“ der katho-
lischen Kirche) ist nun freilich nur eine durch den
Mangel eines zwischenstaatlich -kirchlichen Ver-
bandes und den Souveränitätsbegriff geforderte
formale Auskunft, eine im Interesse staatlicher
Selbstbehauptung vorgenommene Fiktion, bezüg-
lich welcher der Staat bei der praktischen Hand-
habung seiner Macht gut tut, im Auge zu behalten,
daß sie den Tatsachen bloß in sehr beschränktem
Maße entspricht und daß speziell im Verhältnis
zur katholischen Kirche selbst im vergangenen Jahr-
hundert keine auch nur gemischt staatlich-kirchliche
Maßregel von größerer Wichtigkeit ohne Rücksicht-
nahme auf die Universalität der katholischen Kirche
und ihre auswärtige Zentralregierung mit Erfolg
hat getroffen werden können“ (Stutz a. a. O. II
909). Resoluter spricht denselben Gedanken Hübler
aus (Zur Revision der Lehre von der rechtlichen
Natur der Konkordate, 2. Art., in Doves Zeit-
schrift für Kirchenrecht IV (1864] 105): „Die
Kirche existiert nun einmal und läßt sich in ihrer
Realität nicht einfach durch Theorien bestimmen“,
mag man auch, wie Hübler an anderer Stelle
(ebd. III (1863) 422 A. 60) selbst es tut, bei
diesen Theorien von einer „begrifflichen Not-
wendigkeit des (staatsrechtlichen) Systems“ reden.
Sehr gut weist G. v. Schmoller die legalistischen
Theoretiker, die „in der Form der Konvention ein
Attentat auf die staatlichen Hoheitsrechte“ er-
blicken, zurück, indem er mit Nachdruck die regl-
politische Notwendigkeit und damit gegenüber „den
beiderseitigen juristischen Konsequenzmachern“ auch
die Möglichkeit einer Vereinbarung zwischen Staat
und Kirche hervorhebt. (Bei Besprechung der
württembergischen Konvention von 1857 im Art.
Rümelin, Allgemeine deutsche Biographie LIII
610, 613.)