Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

242 Sechstes Buch. Fünftes Capitel. 
er stand auf den Höhen der Gesellschaft, wo es ihm bestimmt zu 
sein schien, das Leben selber in heiterer und geistiger Genugthuung 
zu genießen, Andere um sich her zufrieden und glücklich zu machen. 
Allein wie weit blieb er hievon entfernt. Wir wollen nicht darauf 
zurückkommen, was in seiner Familie vorfiel: doch mag noch ein 
Wort der Königin erwähnt werden. Man rühnmte ihr einst die treff- 
lichen Eigenschaften des Herzens und Geistes, welche die Kaiserin, ihre 
Verwandte, am Hofe zu Wien entwickle; sie gestand, daß sie ihr nicht 
gleichkomme, aber für die Kaiserin, fügte sie hinzu, sei es auch viel 
leichter, ihre Gaben zu entfalten: der lache die Welt, nicht ihr, der 
Königin, welche ihre Tage in fortwährender Unruhe hinbringe. Nicht 
Alles, was man von den Aufwallungen und Gewaltsamkeiten Friedrich 
Wilhelms erzählt hat, ist begründet; was in dem Hause namentlich 
in den letzten Jahren vorkam, ist von bezahlten Dienern, die den 
Fürsten wohl selbst reizten, fremden Gesandten nicht ohne Ueber- 
treibung erzählt und von diesen in ihre Berichte aufgenommen wor- 
den 1); aber viel ist doch auch gut beglaubigt und unleugbar. In keiner 
andern Beziehung haben sich die allgemeinen Vorstellungen so durch- 
aus geändert und vorwärts schreitend entwickelt, als in der Rücksicht, 
welche der eingeborenen Menschenwürde gebührt. 
Den härtesten Mißhandlungen, wie sie gäng und gäbe gewor- 
den, hat sich Friedrich Wilhelm in seinen eigenen Mandaten widersetzt; 
aber er selbst war doch keineswegs frei von der Unsitte dieser Art 
rücksichtslosen Gebahrens. 
Eben die Männer, auf die er von Jugend auf besonders 
achtete, wie der Fürst von Dessau und General Grumbkow, ver- 
schmähten doch, fast aus Grundsatz, die Cultur des inneren Lebens 
und des Gemüthes. Fürst Leopold barg unter den barocken Formen, 
mit denen er sich umgab, ein unendliches Talent; in militärischen, 
sowie auch administrativen Angelegenheiten hat er den nicht zu be- 
rechnenden Einfluß ausgeübt, welchen Gespräch und fortdauernder 
Briefwechsel möglich machen auf den keimenden Gedanken, und das 
Meiste gelang, was er angab; aber er war selbstsüchtig, berechnet, 
durchfahrend, wegwerfend: lange nicht eine so frei aus sich selbst heraus- 
1) Wie sehr das, was die meisten Gesandten darüber Woche für Woche 
nach Hause berichteten, der Kritik bedarf, zeigen die Worte Valori's 6. Mai 
1740: On est sujet d’augmenter ses torts, ct on se tait sur ce qu’il fait 
du bien ou on affoiblit Ie mérite de manièrc qu'il wen reste rien. Ia 
plupart de ceux qui approchent ce prince Tirritent contre tout le 
monde et sont les premiers à charger le récit de ce qui sc passe dans 
Pintéricur des circonstances les plus desavantageuses.
	        
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