Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Chemnit und Pufendorf. 601 
zur Ueberlieferung einer oder der andern Stadt zu nöthigen; der Landschaft 
habe er vorgestellt, sie würde alsdann nicht mehr der Sitz des Krieges sein, 
sondern diesen nach anderen Regionen abwenden können; bestimmt habe er 
dann dem Markgrafen Sigismund, der damals die Mark verwaltete, erklärt, 
das sicherste Mitlel, die Landschaften vor den Lasten des Krieges zu bewahren, 
liege darin, wenn er Cüstrin zur Hälfte einer schwedischen Besatzung anver- 
traue, welche zugleich dem Kurfürsten schwören solle, während die andere, aus 
Brandenburgern bestehend, zugleich bei dem König in Pflicht trete; da aber der 
Kurfürst, an den man sich deshalb wandte, nicht darauf einging, so bedrohte 
Wrangel Berlin mit Einquartierung in der Hoffnung, der Fürst werde Cüstrin 
lieber ausgeben, als seine Hauptstadt in fremde Hände gerathen lassen. In- 
dessen die Bitten der Einwohner und des Markgrasen, welche daran erinnern, 
daß Berlin der Geburtsort der Königin-Mutter sei, bestimmen Wrangel, dem 
es mit seinen Drohungen kein rechter Erust war, von der Besetzung der Haupt- 
stadt zunächst abzustehen. Alles dies stammt nun zum Theil wörtlich aus 
Chemni, selbst in den eingeschalteten Nebensachen, z. B. in dem Ueberfall 
von Lübben: Ungarus tribunus cum sun legione Lubbenae oppressus 
ipseque captus erat. Bei Chemnitz heißt es: „Inmittelst machte Er einen 
anschlag auf Lübben, darin der Obrisie Ungar gelegen, welchen er darin über- 
fallen, dessen Regiment ausfgeschlagen und ihn selbst beym kopffe erwischet". 
Aber Überhaupt ist der deutsche Text ausführlicher und bei weitem instructiver 
als der lateinische. Die Motive Wrangels erscheinen im Zusammenhang mit 
der damaligen religiös-politischen Lage. Er beklagt sich, „wie es leider dahin 
kommen, das diejenige, so ein ander mit Religion, blutsfreundschaft und au- 
derer verbindniß nahe verwandt, und die hiebevor wieder die Feinde und ver- 
folger des Evangelü vor einen Man gestanden, einander itzt selbst ruiniren, 
verderben, aufs eußerste zu grunde richten, und also ein gewunschtes schauspiel 
des Hauses Oesterreich, Spanien und anderer Religions-Feinde werden solten“. 
Was es mit der Bedrohung von Berlin auf sich hatte, erkennt man erst aus 
der Anmuthung, die dieser Stadt geschah: daß die Einquartierung Haus bei 
Haus, nur die der Prediger ausgenommen, geschehe; der Armec ihre Löhnung 
alle zehn Tage gereicht und 25,000 Ellen Tuch zur Kleidung der Soldatesca 
geliefert werden sollen; zugleich sollte die Stadt eine Anzahl Artilleriepferde 
und Munitionswagen stellen. (Chemnitz S. 78.) Sehr charakleristisch ist nun, 
wie die Berliner Bürger, welche, ihre Geistlichen an der Spitze, in dem Lager 
erscheinen, dem Feldmarschall vorstellen, daß sie ja eigentlich mit ihm einver- 
standen und daß sie selbst Gegner der widrigen Beschlüsse des kurfürstlichen 
Hofes seien; die angedrohte Einlagerung würde ihren Untergang herbei- 
führen, während sie sonst bereit seien, ihm alle Willfährigkeit zu beweisen. 
Die Einwendungen machten ohne Zweisel Eindruck auf den Feldmarschall. 
Deun wenn er von der Ausführung seiner Drohung zunächst abstand, so war 
sein vornehmstes Motiv, daß ihm die Stadt mit ihren Mitteln viel nützlicher 
sein werde, als wenn er sie mit der verderblichen Einquartierung belaste. Ich 
bin weit entsernt, Pufendorf zu tadeln. Der Auszug, den er macht, entspricht 
dem Zwecke seines Werkes, aber die ausführliche Erzählung von Chemnitz 
führt den Leser doch allenthalben bei weitem mehr in die inneren Motive des 
Thuns und Lassens der Betheiligten ein.
	        
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