Chemnit und Pufendorf. 601
zur Ueberlieferung einer oder der andern Stadt zu nöthigen; der Landschaft
habe er vorgestellt, sie würde alsdann nicht mehr der Sitz des Krieges sein,
sondern diesen nach anderen Regionen abwenden können; bestimmt habe er
dann dem Markgrafen Sigismund, der damals die Mark verwaltete, erklärt,
das sicherste Mitlel, die Landschaften vor den Lasten des Krieges zu bewahren,
liege darin, wenn er Cüstrin zur Hälfte einer schwedischen Besatzung anver-
traue, welche zugleich dem Kurfürsten schwören solle, während die andere, aus
Brandenburgern bestehend, zugleich bei dem König in Pflicht trete; da aber der
Kurfürst, an den man sich deshalb wandte, nicht darauf einging, so bedrohte
Wrangel Berlin mit Einquartierung in der Hoffnung, der Fürst werde Cüstrin
lieber ausgeben, als seine Hauptstadt in fremde Hände gerathen lassen. In-
dessen die Bitten der Einwohner und des Markgrasen, welche daran erinnern,
daß Berlin der Geburtsort der Königin-Mutter sei, bestimmen Wrangel, dem
es mit seinen Drohungen kein rechter Erust war, von der Besetzung der Haupt-
stadt zunächst abzustehen. Alles dies stammt nun zum Theil wörtlich aus
Chemni, selbst in den eingeschalteten Nebensachen, z. B. in dem Ueberfall
von Lübben: Ungarus tribunus cum sun legione Lubbenae oppressus
ipseque captus erat. Bei Chemnitz heißt es: „Inmittelst machte Er einen
anschlag auf Lübben, darin der Obrisie Ungar gelegen, welchen er darin über-
fallen, dessen Regiment ausfgeschlagen und ihn selbst beym kopffe erwischet".
Aber Überhaupt ist der deutsche Text ausführlicher und bei weitem instructiver
als der lateinische. Die Motive Wrangels erscheinen im Zusammenhang mit
der damaligen religiös-politischen Lage. Er beklagt sich, „wie es leider dahin
kommen, das diejenige, so ein ander mit Religion, blutsfreundschaft und au-
derer verbindniß nahe verwandt, und die hiebevor wieder die Feinde und ver-
folger des Evangelü vor einen Man gestanden, einander itzt selbst ruiniren,
verderben, aufs eußerste zu grunde richten, und also ein gewunschtes schauspiel
des Hauses Oesterreich, Spanien und anderer Religions-Feinde werden solten“.
Was es mit der Bedrohung von Berlin auf sich hatte, erkennt man erst aus
der Anmuthung, die dieser Stadt geschah: daß die Einquartierung Haus bei
Haus, nur die der Prediger ausgenommen, geschehe; der Armec ihre Löhnung
alle zehn Tage gereicht und 25,000 Ellen Tuch zur Kleidung der Soldatesca
geliefert werden sollen; zugleich sollte die Stadt eine Anzahl Artilleriepferde
und Munitionswagen stellen. (Chemnitz S. 78.) Sehr charakleristisch ist nun,
wie die Berliner Bürger, welche, ihre Geistlichen an der Spitze, in dem Lager
erscheinen, dem Feldmarschall vorstellen, daß sie ja eigentlich mit ihm einver-
standen und daß sie selbst Gegner der widrigen Beschlüsse des kurfürstlichen
Hofes seien; die angedrohte Einlagerung würde ihren Untergang herbei-
führen, während sie sonst bereit seien, ihm alle Willfährigkeit zu beweisen.
Die Einwendungen machten ohne Zweisel Eindruck auf den Feldmarschall.
Deun wenn er von der Ausführung seiner Drohung zunächst abstand, so war
sein vornehmstes Motiv, daß ihm die Stadt mit ihren Mitteln viel nützlicher
sein werde, als wenn er sie mit der verderblichen Einquartierung belaste. Ich
bin weit entsernt, Pufendorf zu tadeln. Der Auszug, den er macht, entspricht
dem Zwecke seines Werkes, aber die ausführliche Erzählung von Chemnitz
führt den Leser doch allenthalben bei weitem mehr in die inneren Motive des
Thuns und Lassens der Betheiligten ein.