Fortbildbungsichule und Staatskfunde. 129
deutfchen Volkes zum Neichdbemußtfein”: „AUnftatt eines folhen Jdealismus
(mie 1870) ift gegenmärtig allerorten in Deutjchland Varteizerjplitterung, viel-
fach größte Gleichgültigfeit gegenüber dem ntereffe des Reiches und ebenfo
flacher, wie anmafender GefchäftsmateriaAlismus zu finden” (©. 12). Die
Staatsfunde der Fortbildungzfhule muß den unbedingten Wert des Staate3
und der Staatsordnung lehren. Greifen wir dabei auf die perfönlichen Wohl-
fahrt3ziele de einzelnen zurüd, fo ijt da3 eine unterrichtliche Notmendigfeit,
die fich damit rechtfertigt, dag der Schüler den unbedingten Wert des Gtaat3-
gedanfens nicht begrifflidy rein zu erfajjen vermag.
Diefe Berquidung muß ein Mittel der Beranjchaulihung und ein
dringlihen Darlegung der Staatslehre fein, aber fie darf nicht den Wert
eines idealen NRichtmaßes erhalten.
Das Bindeglied zwifchen Staat und Perfon, Staatälehre und perfönlicher
Berufsfunde muß die Bolfswirtfchaft3lehre bilden. Soll aber der Gtaat$-
gedanfe voll zur Geltung fommen, dann muß er unabhängig von jeglidhem be-
fondern Berufsintereffe in dag Gemüt des Schülers gelegt werden, dann hat man
ihn aucd möglichjt unabhängig von allen perjönlich-beruflichen Befichtspunften
auszubauen. Warum ift die Sozialdemokratie ftaat3los, ftaatsfeindlich, ftaat%
gleichgültig? Weil fie nur den Staat gelten läßt, der ihren wirtichaftlichen Torde-
tungen entjpridt. Warum find die gegenwärtigen mirtichaftlichen nterejjen-
fämpfe fo bedrohlich für das Staatsleben? Weil jeder Berufsitand fordert,
daß der Staat feine und mwomöalidh nur feine Forderungen erfüllt. Sie alle
gehen von perfönlich-felbftfüchtigen Bielen aus und gelangen daher grunbfäglich,
wenn auch nicht immer tatfächlih, zur theoretifhen Verneinung des Staates,
der feinem Wefen nach über den Gegenfäßen aller Wirtichaftszmweige Itehen muß.
Wäre das nicht fo, fünnte fein Linfzliberaler heifchen, daß Deuticyland ein
reiner Erport- und Spnduftrieftaat werden jolle; denn durch dieje Forderung
erniedrigt er den Gtaat an fi) zu einem Mittel für die Befriedigung feiner
perfönliden Wünfche und Zmede. Der Staat aber muß feinen Wert in fid
haben. Mit Schulrat Dr Schilling betrachte ich e3 ala hödhit bedenflich,
die jtaatsbürgerlihe Erziehung auf die Beruf3- und Geichäftsfunde zu
gründen.!) Denn die ftaatsbürgerliche Erziehung ift ein Teil der fittlichen,
melde über allen beruflichen Sonderintereffen fteht. Die ftaat3bürgerliche
Erziehung muß, nachdem einmal der Staatsgedanfe in der Eindlichen Seele
felte ®eftalt angenommen hat, ihren eigenen, felbftändigen Gang innehalten.
Sonft tragen mir zur Berfplitterung, Zerfegung bei, nicht zur Vergefell-
haftung, „Verftaatlihung” der Bürger, zu ihrem Bufammenihluß in die
bemußte Staatsgemeinfchaft. Mögen fich die einzelnen Berufe auch noch fo
Ihroff gegenüberjtehen, eine Ymedgemeinfchaft zmifchen ihnen ift doch vorhanden,
und fie liegt in der WVerbandseinheit des Staates, in der gemeinfamen Bolfs-
und Rulturentmwidiung.
Hieraus ergeben fich zwei Hauptfächer der Fortbildungsfchule. Das eine
pflegt die perjönlich-beruflichen Snterefien, da3 andre die ftaat3bürgerlich-
gemeinjamen; das erite die berufliche Perfönlichkeits-, das zweite Die allgemeine
Staatzerziehung.
Zmwifchen beiden LXehrfächern mag der Lehrer fo viel al3 möglich
Verbindungsfäden ziehen; grundfäglich find fie getrennt; denn das erfte Kacı
?) Bädagogifhe Studien, 1910, ©. 4: Fortbildbungsihule und Volfsihule in }
gegenfeitigen Beziehungen. Ö aid) Igule in ihren
Natgeher III. $rante, Staatd- und Bilrgerfunde. 9