Italien. (Juli 1.) 241
Politik der Regierung erwidert der Minister des Auswärtigen Herzog
v. Sermoneta nach einer Verteidigung des Dreibundes: Die freundschaft-
lichen Beziehungen mit England seien die natürliche Ergänzung des Drei-
bundes und entsprechen den gemeinsamen Interessen und den gegenseitigen
traditionellen Empfindungen. Die Veröffentlichung des Grünbuches habe
diese Beziehungen nicht gestört, dieselben seien im Gegenteil intimer und
herzlicher geworden durch die militärische Aktion, welche beide Mächte, ob-
schon ohne gegenseitige Verpflichtung, gegen den gleichen Feind entfalteten.
— Der allgemeine aufrichtige Wunsch nach Frieden gebe die Gewißheit,
daß die Orientfrage jetzt nicht auftauchen werde. Italien, welches im Orient
so bedeutende Interessen habe, werde unablässig bemüht sein, unter den
Mächten jenes gegenseitige Einvernehmen zu erhalten, welches allein einen
Erfolg hoffen lasse. Die Politik im Balkan-Lande habe immer die Auf-
rechterhaltung des status quo dortselbst zum Ziele, und die verschiedenen
dort auf nationaler Basis errichteten Staaten können sich unter dieser Voraus-
setzung innerhalb der durch Verträge gezogenen Grenzen entwickeln und
kräftigen. Was Bulgarien im besonderen angehe, so habe die Anerkennug
durch die Pforte und das gute Einvernehmen, welches Bulgarien nunmehr
mit allen Staaten pflegen könne, einen dunklen Punkt am politischen Hori-
zont beseitigt. Die Erhaltung des status quo sei auch das Grundprinzip
der italienischen Politik am Mittelmeere und bezüglich der afrikanischen
Küstenländer. — Der Handelsvertrag zwischen Italien und Tunis ende
infolge der im Jahre 1895 notifizierten Kündigung am 29. September 1896;
jedoch bestehen neben diesem Handelsvertrage noch Vereinbarungen älteren
Datums, so daß nur die Konsulargerichtsbarkeit aufhören würde. Wenn
bis zum 29. September d. J. kein neuer Vertrag abgeschlossen sein sollte,
wozu es sicherlich seitens der Regierung bei gutem Willen nicht fehlen
würde, so bleibe doch ein Rechtszustand aufrecht, der die Interessen Italiens
wahren würde. Ueber diesen Fall heute zu sprechen, wäre jedoch unzeit-
gemäß. Die tripolitanische Frage hänge auch zusammen mit der Integrität
des ottomanischen Reiches und falle daher unter das in Europa geltende
Völkerrecht. Die Politik Italiens bezüglich Tripolis lasse sich in die bereits
abgegebene Erklärung resumieren, daß der status quo aufrecht erhalten
werden solle. Bezüglich Kretas sprach der Minister die Hoffnung aus, daß
dank dem Einschreiten der Botschafter die Ordnung bald wieder hergestellt
werde. Im Interesse der europäischen Völker wie im Interesse der Türkei
und des europäischen Friedens werde es genügen, die für Kreta abgeschlossenen
Verträge genau durchzuführen. Die Pforte werde gewiß dieses einfachste
und sicherste Heilmittel nicht verweigern. Italien würde es als aufrichtiger
Freund der Türkei tief bedauern, wenn gewaltsame Repressalien sich er-
neuern würden.
Am folgenden Tage erklärt di Rudini in einer Polemik gegen den
Abg. Fortis, die gesamte Thätigkeit der Regierung sei beständig auf die
Erhaltung des Gleichgewichts in Bezug auf das Mittelmeer gerichtet. Er
habe sich nach reiflicher Erwägung überzeugt, daß es eine unumgängliche
Notwendigkeit für Italien sei, im Dreibunde zu bleiben, der wirksam die
größten Interessen Italiens garantiere. Er habe die Freundschaft Englands
immer für nötig gehalten, auch nach Abschluß des Dreibundes, und diese
Freundschaft für die notwendige Ergänzung des Dreibundes betrachtet.
Nicht nur Gründe des Gefühls, sondern auch solche des Interesses raten
diese Freundschaft an. Wie sich aus den englischen Parlamentsberichten
ergebe, habe Lord Salisbury im Oberhause dieselbe Ansicht kundgegeben.
Im Interesse Italiens und der verbündeten Staaten beabsichtigt die Regie-
rung, die Dreibund-Abmachungen zu verbessern; die Möglichkeit, die Ab-
Europäischer Geschichtskalender. Bd. XXXVII. 16