Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

426 Frankreich. (Dec. 4.) 
die Amnestiefrage definitiv gelöst und werden nicht gestatten, daß sie noch 
einmal ausgeworfen werde. Mir haben die Rückkehr der Kammern nach Paris 
durchgesetzt und glauben, dabei einen festen Willen gegeigt zu haben. In 
den ünterrichtsfragen hat wohl niemals eine Regierung eine entschlossenere 
Juitiative an den Tag gelegt. Wir haben ferner den Staatsrath reorgani- 
sirt, so daß er jebt aus Männern besteht, welche Durchaus der Republik er- 
geben sind. Heißt Das nichts gethan haben? Das Jahr war für Land- 
wirthschaft und Gewerbe nicht glücklich, und gleichwohl hat seit langer Zeit 
keines jo günstige finanzielle Resultate geliesert. Die Stenern haben ein 
Mehrerträgniß von 140 Millionen ergeben, ein sprechender Beweis für das 
Vertrauen des Landes. Die öffentliche Ruhe wurde allenthalben aufrecht 
erhalten, und wo Agitationsversuche auftauchten, wurden sie sofort unter- 
drückt. Im Auslande wurde die Nepublik ohne jede Spur von Schwierig- 
keiten aufgenommen; unsere Beziehungen zu allen Mächten sind so freund- 
schaftlich, wie nur je. Diese Sachlage hat man dem Character des k räfl. 
denten der Republik und dem Patriotismus der Kammmerg. aber doch auch 
der Einsicht des Ministerinms zu danken. Man macht der Regierung den 
Vorwurf, daß sie das Beamtenpersonal nicht Rinlängllich gesäubert habe; 
aber man braucht nur die Spalten des „Journal officiel“ durchzusehen, um 
sich zu überzeugen, wie viele Jeränberulden und Absehungen erfolgt sind. 
Es ist viel geschehen, aber es wird zugegeben, daß noch viel zu thun übrig 
bleibt. Nicht auf Massenopfer von Beamten kommt es an, sondern auf 
umsichtiges und zugleich entschlossenes Vorgehen. Wir haben dieses schwie- 
rige Werk im Einvernehmen mit den Präfecten bereits begonnen und hoffen, 
es. glücklich zu Ende zu führen. Die Negierung ist gewillt, der Republik 
bei den richterlichen wie bei den anderen Beamten Achtung zu verschaffen. 
Sie wird OIn diesem Behufe vor keinem gesetzgeberischen Akle Eu 
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aber die Frage muß als Ganzes geprüft und der eutsprechende Gesehzentwu 
reiflich erwogen werden. Unter einer despotischen Regierung kann man si 
ein durchaus homogenes Ministerium leicht denken, unter einer freien Re- 
Vierung ist ein solches unmöglich. Das gegenwärtige Cabinet ist in seinen 
Lroßen Linien homogen; in Personen= und Tetailfragen können Meinungs- 
verschiedenheiten hervortreten, wie in jedem Conseil, welches sich frei und 
offen ausspricht. Wären etwa Herr Brisson und feine Freunde, wenn das 
Elbie ihnen das Feld räumte, in der Lage, ein vollkommener und streuger 
homogenes Ministerium zu bilden: Man darf es bezweifeln. Die Einwen- 
dungen, welche man gegen das Cabinet erhebt, könnten auch gegen das 
künftige Cabinet erhoben werden. Die Freunde des Herrn Brisson sind 
in einer gangen Menge von Punkten gespalten. Hinter ihnen stehen wieder 
Männer von Talent und Ueberzeugung, welche an ihre Stelle treten möchten. 
Es sind Männer, welche die Verfassung über den Haufen werfen wollen 
(Unruhe) und in diesem Sinne schon die Abschaffung des Senats und des 
Concordals verlangt haben. Herr Brisson und seine Freunde müßten sich 
auf diese Männer stützen, ob sie doch gleich weit entfernt sind, alle ihre An- 
sichten zu theilen. An der Spibe des Programmes des Herrn Brisson und 
seiner Freunde steht die sofortige volle Amnestie. (Widerspruch links.) Es 
verlang ferner, daß alle Maires ohne Ausnahme, auch die der größten 
Städte, von den Communen gewählt werden. Die Regierung will davon 
nichts hören. Es verlangt die absolute Freiheit der Presse: die Regierung 
ist derselben nicht zu nahe getreten. Jedem Meinungsausdruck ist volle 
Freiheit gelassen. Wo Preßprozesse statiseneen, ründeten sie sich nur auf 
èrrecte Beleidigungen des Staatsoberhauptes und Wnm zum Bürger- 
kriege. (Beifall im Cenkrum. Widerspruch rechts.) In solchen Fällen, so- 
wie ferner gegenüber einer Verherrlichung der Commune mußte die Regie-
	        
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