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standpunkt noch lange nicht überwunden worden durch den
Rechtsstandpunkt. Als praktisch giltiges Recht, dessen Bruch
nach unserer Auffassung eine Verletzung völkerrechtlicher Verträge
und völkerrechtlicher Gebräuche darstellen würde, möchte ich im
Einvernehmen mit den anderen diesseits beteiligten Ressorts die
nachstehenden Sätze aufstellen:
1) Neutrale Handelsschiffe auf hoher See oder in den
Territorialgewässern der Kriegführenden unterliegen — von dem in
den vorliegenden Fällen nicht in betracht kommenden Konveoirecht
abgesehen — dem VBisitationsrecht der Kriegsschiffe der krieg-
führenden Teile. Dies gilt zweifellos für die vom Kriegsschau-
platz nicht zu weit entfernten Gewässer. Für Postdampfer
bestehen zur Zeit noch keine besonderen Vereinbarungen.
2) Das Bisitationsrecht ist möglichst schonend und ohne
unnötige Belästigung auszuüben. Das Verfahren bei der Visi-
tation zerfällt je nach den Umständen des einzelnen Falles in zwei
oder drei Akte: Anhalten des Schiffes, Prüfung der Papiere,
Durchsuchung des Schiffes. Die beiden ersteren Handlungen können
jederzeit ohne weiteres vorgenommen werden. Besteht danach ein
Verdacht, so ist die Durchsuchung des Schiffes zulässig.
3) Hat sich bei der Anhaltung das neutrale Schiff wider-
setzt, oder ergiebt die Prüfung der Papiere Unregelmäßigkeiten,
oder siellt sich das Vorhandensein von Kontrebande heraus, so
kann das Schiff des Kriegführenden das neutrale Schiff auf-
bringen, damit die Sache vom zuständigen Prisengericht geprüft
und entschieden werde.
4) Begriffsmäßig werden unter Kriegskontrebande nur für
den Krieg geeignete und zugleich für eine der Kriegsparteien be-
stimmte Waren oder Personen zu verstehen sein. Welche Arten
von Waren hiernach unter den Begriff fallen können, ist streitig
und wird, abgesehen etwa von Kriegswaffen und Kriegsmunition,
sich in der Regel nur unter Berücksichtigung aller Umstände des
einzelnen Falles entscheiden lassen, es sei denn, daß die krieg-
führende Macht ausdrücklich die Gegenstände, die sie als Kontre-
bande zu behandeln beabsichtigt, den Neutralen in giltiger Form
bekannt gegeben und von diesen keinen Widerspruch erfahren hat.
5) Die vorgefundene Kontrebande unterliegt der Wegnahme;
ob mit oder ohne Wertersatz, hängt von der Lage des einzelnen
Falles ab.
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