Oie Lage zur See. 63
mit, daß Englands Ubermacht zur See unbedingt gewahrt werden müsse.
Deshalb müsse erreicht werden, daß die britische Flotte den vereinigten
Flotten zweier anderer Seemächte überlegen sei. In jenem Jahre 1888
wurde, zum ersten Male amtlich, jener vielerörterte Zweimächtemaßstab
aufgestellt. Er bezog sich auf Frankreich und Rußland. Das Baupro-
gramm wurde pünktlich zu allgemeiner Bewunderung durchgeführt. In
der ersten Hälfte der neunziger Jahre stand die britische Flotte, absolut
und vergleichsweise, auf der Höhe aller damals denkbaren Aufgaben. Es
war die Zeit des engsten Einvernehmens mit dem Dreibunde, die Zeit,
wo mündliche Abmachungen dahin bestanden, daß die englische Flotte
bei Ausbruch eines Krieges den Status quo im Mittelländischen Meere
gegen Frankreich wahren werde. Der Schwerpunkt der britischen Flotte
lag tatsächlich im Mittelländischen Meere, während das Kanalgeschwader
die britische Front nach der Atlantischen Küste Frankreichs darstellte.
Eine große Menge von Kreuzern war auf die ausländischen Stationen
verteilt. Die verhältnismäßige Anzahl der im Oienst befindlichen Schiffe
und Verbände war erheblich geringer als in unseren Tagen. Die Fähig-
keit der britischen Flotte, die Meere zu beherrschen, einerlei, welche Mächte--
kombination ihr Gegner sein würde, stand außer Frage.
Zn Frankreich war das maritime Interesse im wesentlichen auf das
Mittelländische Meer gerichtet. In den Kammerverhandlungen des Jahres
1893 wurde auedrücklich festgestellt, daß Frankreichs Mittelmeergeschwader
stärker sei als die italienische Flotte, während das atlantische Geschwader
der deutschen Flotte gewachsen sei. Tatsächlich machten sich schon um
die Mitte der neunziger Jahre Zeichen des Rückganges und des Ver-
falles in der französischen Flotte bemerklich. Sachverständige Fran-
zosen legten ihr in jenem Jahre nur ein Drittel des Wertes der englischen
bei. Auch stellte man fest, daß die Eröffnung des deutschen Kaiser-Wil-
helm-Kanales höhere Anforderungen an die atlantischen Streitkräfte
Frankreichs stelle als bisher. Der stete Wechsel der Marineminister, die
Verschiedenheit ihrer Anschauungen, die inneren Wirren und Unruhen,
die das Land durchtobten, schließlich die Bereinigung der Anstrengungen
auf die Armee, das alles bewirkte, daß der Wert der französischen Flotte
mehr und mehr zurückging; zunächst freilich nur wenigen bemerklich.
Ztalien hatte seit den achtziger Jahren mit ungeheurer Anstrengung
versucht, eine starke Flotte zu schaffen. Der Weitblick seiner Staats-
männer, an der Spitze Crispi, hatte die Wahrheit erfaßt, daß Italien eine
selbständige Mittelmeerpolitik lediglich auf der Basis einer starken Flotte
treiben könne. Es konnte Ztalien nicht in den Sinn kommen, auf eine
Flotte von der Größe der französischen hinzuarbeiten. Was man wollte,
war eine Flotte, die bei verhältnismäßig geringem Umfange das beste