Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Oer Weg zur Krügerdepesche. 81 
  
gesagt: „Frankreich hat nur einen einzigen Feind, und das ist Deutsch- 
land. England kann danach seine Politik einrichten.“ Das sollte bedeu- 
ten: in einem englisch-deutschen Kriege werde Frankreich ohne weiteres 
gegen Deutschland stehen. Die Offentlichkeit hat diese Tatsache freilich 
erst im Zabre 1908 erfahren. Damals erschien in der „Deutschen Revue“ 
ein vielbemerkter Aufsatz von einem „Wissenden“, der sie feststellte. 1896 
war die deutsche Offentlichkeit aber geneigt, anzunehmen, daß Frank- 
reich, allein durch sittliche Entrüstung veranlaßt, sich zu Deutschland gegen 
England stellen würde. Oie französische Presse hatte solche Entrüstung 
in starken Worten geäußert; nicht die französische Regierung. Aber kein 
Franzose dachte daran, sie in die Praxis überzuführen. 
Wir sagten vorher, man habe auf deutscher Seite wahrscheinlich 
nicht geglaubt, daß die britischen Pläne für Südafrika so fest und klar 
waren und die öffentliche Meinung sie so tief in sich aufgenommen hatte. 
Deshalb hat Baron Marschall offenbar die Machtfrage vorher gar nicht 
in Betracht gezogen. Als diese dann in kaum verhüllter Form von der 
englischen Seite aufgeworfen wurde, war damit die ganze „Frage“ als 
solche erledigt. Die Leiter der deutschen Politik dachten nicht daran und 
konnten vernünftigerweise nicht daran denken, mit Großbritannien Krieg 
zu führen. Für Großbritannien ging es um das geeinte Südafrika, das 
Chamberlain damals voraussah und vorbereitete. Für die deutsche Politik 
ging es um die Handelsbeziehungen zu Transvaal, daneben vielleicht um 
das Bestreben, sich weitergehende kolonialwirtschaftliche und kolonial- 
politische Möglichkeiten offen zu halten, — nicht aber um Ourchführung 
fest vorgezeichneter Pläne, deren Berwirklichung man tatsächlich und ent- 
schlossen wollte. So stand für England nach dieser Seite hin ungleich mehr 
im Spiele als für die deutsche Politik. Umgekehrt verfügte Großbritannien 
über die ozeanbeherrschende Flotte, während die Seestreitkräfte Deutsch- 
lands den Namen einer Flotte nicht verdienten. Zhre Vernichtung war 
ohne Risiko und ohne nennenswerten Kraftaufwand jederzeit und überall 
möglich. Großbritannien schließlich verfügte ohne geschriebene Bünd- 
nisse über freiwillige, rachedurstige Bundesgenossen, während das Deutsche 
Reich gerade Großbritannien gegenüber völlig allein stand. 
Will man in zwei Worten die deutsche Politik, welche zum Krüger- 
telegramm führte, charakterisieren, so beruhte sie auf unrichtiger Ein- 
schätzung wichtiger und entscheidender Faktoren auf der englischen Seite. 
Sie glaubte mit juristischen Argumenten und mit dem Bertragerecht 
wirken zu können, wo auf der britischen Seite der nüchterne und feste 
Wille bestand, sich durch keinerlei papierne Hindernisse beirren zu lassen, 
sondern sich den Weg zur Macht durch die Mittel der Macht zu bahnen, 
s koste, was es wolle. 
Hrof Reventlow, Deutschlands auowärtloc Polltie.
	        
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