86 2. Ubschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1898—1903.
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damals vom Organe des Fürsten Bismarck, den „Hamburger Nachrich-
ten“, als ein „Sprung ins Dunkle“ bezeichnet. Es galt auch sonst in der
deutschen Presse als ein neuer Beweis des sogenannten Zickzackkurses,
einer schwenkenden und schwankenden, planlosen Politik. Planlos war
diese Politik nun zweifellos nicht: sie schuf sich die ihr notwendig erschei-
nende Vorbedingung für einen deutschen Fußpunkt an der chinesischen
Küste, der zugleich ein Einfallstor des deutschen Handels nach China
hinein, einen Anlaufhafen für Handelsschiffe und eine Basis für deutsche
Kriegsschiffe in jenen Meeren bilden sollte. Das Bedürfnis war in jedem
dieser drei Punkte vorhanden. Dazu kam die Gelegenheit, ipso kacto
Rußland einen großen Oienst zu leisten und mit ihm, sozusagen, in eine
stillschweigende Entente über Ostasien zu gelangen. Aluf der anderen
Seite standen als Nachteile: die Verstimmung Fapans und die Stellung,
welche hier zum ersten Male in einer großen Frage offen gegen England
genommen wurde. Die Verstimmung JZapans von 1895 hat bis zum
Kriege 1914/15 nie aufgehört zu wirken. Es gab wohl keine Großmacht
damals einschließlich Großbritanniens, die nicht Japan stark unterschätzte.
Das ist ein schwerer Fehler gewesen, aber keiner der Deutschen allein,
während anderseits die Wichtigkeit der japanischen Stimmung Deutsch-
land gegenüber, auch wenn man ZJapan unterschätzte, auf der Hand liegen
mußte. Ee ist oft gesagt worden, daß man jene Stimmung zu unseren
Ungunsten leichtfertig, ungeschickt und unnötigerweise erweckt hätte.
Eine Beurteilung der Richtigkeit oder Unrichtigkeit jenes deutschen Vor-
gehens ist nur möglich unter dem Gesichtspunkte, der damals die deutsche
Politik leitete. Oieser Gesichtspunkt war, wie gesagt: die Vorbereitung
für Erwerbung eines deutschen Fußpunktes an der ostasiatischen Küste.
Hätte Deutschland sich zurückgehalten oder gar mit England für Zapan
Stellung genommen, so wäre dieses Ziel schwerlich erreicht worden.
Dann würde Japan die Halbinsel Liautung mit Port Arthur zunächst
jedenfalls behalten haben. Rußland hätte seine Anwartschaft auf Port
Arthur vorläufig aufgeben müssen und ohne Zweifel einer deutschen
Fußfassung ernsten Widerstand entgegengesetzt. Auf alle Fälle würden
sich die deutsch-russischen Beziehungen verschlechtert haben, man würde
weder bei England noch bei Fapan auf wohlwollende Begrüßung eines
deutschen Kiautschou haben rechnen können.
Ein großer Teil der öffentlichen Meinung Deutschlands, mit ihr das
Organ des Fürsten Bismarck, urteilte auch, daß ODeutschland sich hätte
zurückhalten und in der Kunst des Wartens üben müssen. Man könnte
dem angesichts der damaligen Verbältnisse beipflichten, wenn nicht eben
die — damals allen öffentlichen Beurteilern unbekannte — geheime
Vereinbarung zwischen dem Deutschen Kaiser und dem Zaren über den