Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

88 2. Abschnitt. Weltpolltische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1903. 
den technischen und kommerziellen Fortschritten der Deutschen; der deut- 
sche Wettbewerb auf diesen Gebieten sei eine Gefahr der Zukunft. Deutsch- 
land besitze das vollkommenste Sostem technischer Ausbildung, sei da- 
her der gefährlichste Nebenbuhler Großbritanniens und bedrohe den 
britischen Handel, sogar in Indien und ÄAgppten. Ein anderes Mal sagte 
Lord Roseberp: „Wir sind bedroht durch einen furchtbaren Gegner, 
welcher uns benagt wie das Meer die schwachen Partien einer Küste be- 
nagt — ich meine Oeutschland. Der Handel des vereinigten Königreiches 
hört nicht auf, sich zu verringern, und was es verliert, das gewinnt in 
der Hauptsache Deutschland.“ — Oer Kolonialsekretär Mr. Zoseph Cham- 
berlain variierte dasselbe Motiv, freilich mit dem Sonderzwecke, für sein 
Zdeal des imperialistischen Zusammenschlusses auf dem wirtschaftlichen 
Gebiete Stimmung zu machen. 
Schon seit Zahren wurden in den englischen Zeitungen Berichte 
britischer Konsuln veröffentlicht, die das Wachsen des deutschen Wett- 
bewerbes auf den überseeischen Märkten feststellten und beklagten. Man 
hatte diese Erscheinungen aber als etwas hingenommen, das sich natur- 
gemäß aus der machtpolitisch gesicherten inneren Entwicklung des Deut- 
schen Reiches ergab und ergeben mußte. Diejenigen britischen Kreise, 
welche anders dachten, kamen mit ihren Gedanken nicht an die Offent- 
lichkeit. Bom Zeitpunkte der Krügerdepesche an trat die englische Wirt- 
schaftseifersucht mit beispielloser Behemenz nach außen in die Erschei- 
nung. DOie deutsche Transvaalpolitik, gewiß, die vergaß man nicht und 
gedachte auch nicht, sie in Zukunft zu vergessen. Man empfand sie als 
eine Anmaßung des flottenlosen Deutschen Reiches gegen das seebeherr- 
schende England. Das Oeutsche Reich und seine Politik schuldeten, so 
war die allgemeine britische Auffassung, Großbritannien Dank für ein 
subjektives Wohlwollen, und auf dem Gebiete des Seehandels und der 
Kolonien Gehorsam und Anschluß. Bei dauernd gutem Betragen wäre 
dann vielleicht hier und da ein überseeischer Brocken für Deutschland ab- 
gefallen. In diesem Sinne nur war man entrüstet mit der Naivität des 
auserwählten Volkes, daß Deutschland in der Transvaalangelegenheit es 
an dem schuldigen Gehorsam hatte fehlen lassen. Als ein ernsthaftes 
Hindernis für die britischen Pläne in Südafrika betrachtete man jedoch 
diese deutschen Bestrebungen nicht. Davon war keine Rede, denn man 
wußte und sah genau, daß den Deutschen an den nötigen Machtmitteln, 
um die Marschallsche Transvaalpolitik in die Tat umzusetzen, alles fehlte. 
Aus diesem Grunde war auch die früher vielbesprochene Erscheinung 
selbstverständlich, daß die amtliche Politik des britischen Reiches schon 
unmittelbar nach der Krügerdepesche wieder in unverändert freundlichen 
Beziehungen zu der amtlichen deutschen Politik stand. Es lag eben kein
	        
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