Oie englische Handelseifersucht — Das erste Flottengesetz. 93
Auffassungen, besonders aber als Gegenstück zu den englischen Artikeln
noch heute von Znteresse sind. Schäffle schrieb u. a.: „Die Fortschritte
unseres Seehandels seit fünfundzwanzig, namentlich aber seit zehn Zahren
sind so gewaltig, unsere wirtschaftliche Bedeutung ist rasch so groß ge-
worden, daß Deutschland von seiten der NRivalen her auf alles gefaßt
sein muß. Man gebe sich darüber keiner Täuschung hin, daß die Engländer,
wenn sie es nur irgend wagen können, bei erster Gelegenheit unserem
Überseehandel und unserer Exportindustrie den Todesstoß zu geben suchen
werden .. Erund zur Eifersucht hat der riesige Aufschwung, welcher
seit der Gründung des Reiches der Nberseehandel, die Exportindustrie,
die Reederei, der Schiffbau, die Gründung überseeischer Banken, die
Beteiligung an auswärtigen Eisenbahnen und Plantagen genommen
haben, in gerüttelt vollem Maße unsern Rivalen wirklich gegeben.“
Zm Frühjahr 1898 richtete der Engländer Sidney Wbitman, der dem
Fürsten Bismarck persönlich bekannt war, brieflich an ihn die Frage,
wie die englisch-deutschen Beziehungen gebessert werden könnten. Fürst
Bismarck ließ dem Engländer durch den Grafen Rantzau, seinen Schwieger-
sohn, antworten — wir folgen der Bersion der „Hamburger Nachrichten“:
„Der Fürst bedaure, daß die Beziehungen zwischen Deutschland und
England nicht besser seien, als sie eben sind. Bedauerlicherweise wisse
er kein Mittel dagegen, da das einzige ihm bekannte, das darin bestehe,
daß wir unserer deutschen Industrie einen Zaum anlegten, nicht gut ver-
wendbar sei.“
Es ist eine Tatsache von Bedeutung, daß gerade Biemarck, der sich
nach seiner Entlassung nie gescheut hatte, öffentlich auszusprechen, wenn
seine Ansichten mit denen des „neuen Kurses“ nicht übereinstimmten,
oder aber, der sich zurückhielt, wenn er eine Meinungsäußerung für schäd-
lich hielt, in diesem Falle — zwei Jahre nach der Krügerdepesche — er-
klärte, das einzige Mittel zur Berbesserung der englisch-deutschen Be-
ziehungen sei, der deutschen Industrie einen Zaum anzulegen. Das wäre,
wie er ironisch meinte, „nicht gut verwendbar“.
Die deutsche Handelerivalität kam den Engländern um so unbe-
quemer und überraschender, weil sie früher nicht mit ihr gerechnet hatten.
Großbritannien war von alter Zeit her im Besitze des Handelsmonopole
der Welt. Es konnte den Freihandel zunächst mit ungeheurem Erfolge
einführen, weil es keine Nebenbuhler ernster Art in der Welt hatte. Groß-
britannien trat, wie Bismarck — Ende der siebziger Zahre — in einer
Reichtagsrede sagte, wie ein allen seinen Mitmenschen an Kräften weit
überlegener Athlet auf die Bühne und sagte: nun kommt heran, wenn
ihr könnt! Und sie konnten alle nicht. So gedieh das freihändlerische
England nicht durch das „freie Spiel der Kräfte“, sondern weil es die