Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Oie englische Handelseifersucht — Das erste Flottengesetz. 93 
  
Auffassungen, besonders aber als Gegenstück zu den englischen Artikeln 
noch heute von Znteresse sind. Schäffle schrieb u. a.: „Die Fortschritte 
unseres Seehandels seit fünfundzwanzig, namentlich aber seit zehn Zahren 
sind so gewaltig, unsere wirtschaftliche Bedeutung ist rasch so groß ge- 
worden, daß Deutschland von seiten der NRivalen her auf alles gefaßt 
sein muß. Man gebe sich darüber keiner Täuschung hin, daß die Engländer, 
wenn sie es nur irgend wagen können, bei erster Gelegenheit unserem 
Überseehandel und unserer Exportindustrie den Todesstoß zu geben suchen 
werden .. Erund zur Eifersucht hat der riesige Aufschwung, welcher 
seit der Gründung des Reiches der Nberseehandel, die Exportindustrie, 
die Reederei, der Schiffbau, die Gründung überseeischer Banken, die 
Beteiligung an auswärtigen Eisenbahnen und Plantagen genommen 
haben, in gerüttelt vollem Maße unsern Rivalen wirklich gegeben.“ 
Zm Frühjahr 1898 richtete der Engländer Sidney Wbitman, der dem 
Fürsten Bismarck persönlich bekannt war, brieflich an ihn die Frage, 
wie die englisch-deutschen Beziehungen gebessert werden könnten. Fürst 
Bismarck ließ dem Engländer durch den Grafen Rantzau, seinen Schwieger- 
sohn, antworten — wir folgen der Bersion der „Hamburger Nachrichten“: 
„Der Fürst bedaure, daß die Beziehungen zwischen Deutschland und 
England nicht besser seien, als sie eben sind. Bedauerlicherweise wisse 
er kein Mittel dagegen, da das einzige ihm bekannte, das darin bestehe, 
daß wir unserer deutschen Industrie einen Zaum anlegten, nicht gut ver- 
wendbar sei.“ 
Es ist eine Tatsache von Bedeutung, daß gerade Biemarck, der sich 
nach seiner Entlassung nie gescheut hatte, öffentlich auszusprechen, wenn 
seine Ansichten mit denen des „neuen Kurses“ nicht übereinstimmten, 
oder aber, der sich zurückhielt, wenn er eine Meinungsäußerung für schäd- 
lich hielt, in diesem Falle — zwei Jahre nach der Krügerdepesche — er- 
klärte, das einzige Mittel zur Berbesserung der englisch-deutschen Be- 
ziehungen sei, der deutschen Industrie einen Zaum anzulegen. Das wäre, 
wie er ironisch meinte, „nicht gut verwendbar“. 
Die deutsche Handelerivalität kam den Engländern um so unbe- 
quemer und überraschender, weil sie früher nicht mit ihr gerechnet hatten. 
Großbritannien war von alter Zeit her im Besitze des Handelsmonopole 
der Welt. Es konnte den Freihandel zunächst mit ungeheurem Erfolge 
einführen, weil es keine Nebenbuhler ernster Art in der Welt hatte. Groß- 
britannien trat, wie Bismarck — Ende der siebziger Zahre — in einer 
Reichtagsrede sagte, wie ein allen seinen Mitmenschen an Kräften weit 
überlegener Athlet auf die Bühne und sagte: nun kommt heran, wenn 
ihr könnt! Und sie konnten alle nicht. So gedieh das freihändlerische 
England nicht durch das „freie Spiel der Kräfte“, sondern weil es die
	        
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