Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

94 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1903. 
  
  
einzige „Kraft“ war. Als dann der deutsche Zollverein entstanden war 
und nach 1870 das Deutsche Reich versuchte, eine Industrie- und Handels- 
macht zu werden, da schlug es fehl, weil ihm der innere Markt fedlte, 
weil es immer nur kaufte und nicht verkaufte; wie Biesmarck sagte: unser 
Wirtschaftsleben wäre an innerer Blutleere zugrunde gegangen. Ende 
der siebziger Jahre ging der Kanzler deshalb zum Schutzzoll über. Seine 
segensreichen Folgen für den deutschen Außenhandel zeigten sich bereits 
um Aitte der achtziger Jahre kräftig. 
Fürst Hohenlohe schrieb im Jahre 1897, als die erste Tirpitzsche Flotten- 
vorlage zur Erörterung stand: „Um nun Geld für das Reich zu bekommen, 
änderte Bismarck seine Zollpolitik und gab den gemäßigten Freihandel 
auf. Auch hier stand das deutsche Volk auf seiner Seite. Nun bekamen 
wir Geld, 300 bis 400 Millionen, und das Reich konnte leben. Die Schutz- 
zollpolitik erzeugte aber einen kolossalen Aufschwung der Industrie.“ 
Als Großbritannien zuerst die Konkurrenz der deutschen Ware auf 
dem eigenen Innenmarkte nachteilig empfand, da wurde das berühmte 
Gesetz erlassen, daß alle aus Deutschland eingeführten Waren den Stem- 
pel „made in Germany“ tragen sollten. Dem lag die vorgefaßte britische 
Ansicht zugrunde, daß die englische Ware eo ipso viel besser sei als die 
deutsche, und aus diesem Grunde kein Abnehmer Ware kaufen würde, 
über deren deutschen Ursprung er unterrichtet sei. Das war der erste 
große Zrrtum und Fehlgriff, denn gerade jener Stempel wurde zur Ur- 
sache, daß überall nun erst recht die deutsche Ware auf Kosten der englischen 
gesucht und gekauft wurde. 
Das Jahr 1896, welches so ereignisreich gerade auf dem Gebiete der 
britisch-deutschen Beziehungen war, bildete auch wirtschaftlich zufällig 
einen bedeutenden Abschnitt auf eben diesem Gebiete, ja, einen epoche- 
machenden. 1896 zum ersten Male zeigte sich die deutsche Flagge im 
Hamburger Hafen der englischen überlegen. Zu gleicher Zeit erwies 
die Statistik, daß England aus dem früher sehr umfangreichen und ge- 
winnbringenden Zwischenhandel, welchen es für Deutschland über See 
gefübrt hatte, fast verdrängt worden war. Von 1886 bis 1896 war der 
deutsche Seeverkehr nach England — berechnet nach der Tonnenzabl — 
nur um 35 Prozent gestiegen, nach Schweden um 917, nach Osterreich- 
Ungarn um 340, nach den Vereinigten Staaten um 128, nach Mexiko, 
Mittel- und Südamerika um 317, nach Indien und Ostasien um 488, 
nach Australien um 475, nach Südafrika um 250, nach der Levante um 
261 Prozent. Die Hochseefischereien der Nordsee, die früher beinahe aus- 
schließlich in englischer Hand gewesen waren, hatten sich von 1873 bis 
1896 verzwölffacht. In derselben Zeit war die Zahl der deutschen Damp- 
f#er auf das Sechsfache gestiegen, ihr Tonnengehalt auf mehr denn das
	        
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