Oie englische Handelseifersucht — Das erste Flottengesetz. 95
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Zehnfache. Der Wert des deutschen Gesamthandels hatte um elfhundert
Millionen Mark zugenommen. Die deutschen Passagierdampfer galten
mit Grund und Recht als die besten und schnellsten der Welt. Oie deut-
schen Konsulate im Auslande vermehrten sich von Jahr zu Jahr, und
ebenso wuchs die Höhe der in Ubersee investierten Beträge deutschen Geldes.
Alle diese Tatsachen wurden — das war ein überaus wichtiges Zu-
sammentreffen politischer, militärischer und wirtschaftlicher Momente in
den JZahren 1896 bis 1899 — erst damals weiteren Kreisen des deutschen
Volkes bekannt. Es war das große Verdienst des neuen (seit 1897) Staats--
sekretärs des Reichs-Marine-Amts, Kontreadmirals Tirpitz, Denkschriften
und Zusammenstellungen anfertigen zu lassen, die dem deutschen Volke
zeigten: einmal, wie ungeheuer seine wirtschaftlichen Fortschritte, im be-
sonderen die des seeischen und überseeischen Handels, waren, welcher Zu-
kunft sie entgegengingen, ferner, daß diese „Seeinteressen“ nicht nur be-
schränkte Interessenkreise, sondern das ganze Volk aufs tiefste berührten
und zu Bedingungen für dessen Wohlstand geworden waren. Man muß
rückschauend heute sagen, daß jene Veröffentlichungen oder, allgemein
gesprochen, die Volkstümlichmachung des Begriffes der deutschen See-
interessen eine Tat dargestellt hat, deren Folgen von höchster Bedeutung ge-
wesen sind. Sie erst begannen in den Augen der deutschen Bevölkerung
jene Rede Kaiser Wilhelms II. von der deutschen Weltpolitik zu recht-
fertigen. Sie erklärten ferner durch sich selbst und auf das allerbeweis-
kräftigste die britische Unruhe und Eifersucht. Sie endlich zeigten dem
deutschen Bolke das ungeheure Mißverhältnis zwischen der Größe und
Bedeutung der deutschen Seeinteressen für Gegenwart und Zukunft und
ihrer Schutzlosigkeit. Wie eine englische Zeitschrift eben in jener Zeit
schrieb: „Die deutsche Flotte ist recht gut, ihre Seeleute und Offiziere
sind tapfere Männer, aber auch sie halten es nicht für möglich, unsere
Schiffe bei einer Ubermacht von 3 gegen 1 zu schlagen. In dieser Uber-
macht würden wir im vorigen Jahre gegen sie gewesen sein. Wir können
deshalb annehmen, daß die Deutschen ihre Flotte im Hafen gehalten
haben würden, weil sie es nicht nötig haben, ihren Mut in einem hoff-
nungslosen Kampfe zu zeigen .. Die Anglophoben in der deutschen
Presse scheinen gar nicht zu wissen, daß Deutschland eine sehr große Han-
delsflotte hat. Uberall weht die deutsche Flagge. Mit der Kriegs-
erklärung würde die ganze deutsche Handelseflotte uns auf Gnade und Un-
gnade ausgeliefert sein. Auf allen Weltmeeren würden unsere Kreuzer
deutsche Schiffe aufbringen und wegnehmen ... Deutschland bat nur
kurze Küstenlinien, und seine Hafeneinfahrten sind ganz besonders leicht
zu sperren. Nun überlege man sich, wieviel es für Deutschland ausmachen
würde, wenn seine Flagge vom Weltmeere verdrängt und seine Häfen