Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

96 2. Abschnitt. Weltpolltische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1903. 
  
blockiert wären .. Geradeheraus gesagt, würde ein Krieg für Deutsch-- 
land, selbst wenn er von deutscher Seite mit größter Weisheit und Vor- 
sicht geführt würde, doch einen unmittelbaren Verlust allerschwerster Art 
zur Folge haben, während wir so gut wie gar nichts verlieren würden.“ 
Es war nicht möglich, auch nur einen einzigen dieser Sätze Lügen 
zu strafen. Deshalb wurden die Jahre von 1896 bis 1898 Lehrjahre erster 
Ordnung für das deutsche Bolk. Damals rang es sich, in seiner Mehrheit 
wenigstens, zur Uberzeugung durch, daß eine den Seeinteressen und der 
wirtschaftlichen Zukunftsweltstellung des Reiches angemessene Flotte Not- 
wendigkeit sei. Damals begann man zu begreifen, daß die „Liebhaberei“ 
Kaiser Wilhelms II. für die Flotte auf seinem klaren Verständnisse für 
die Notwendigkeit des Reiches beruhte und dem Urteile der zahlreichen 
klugen und spöttelnden Zeitgenossen um beinahbe ein FJahrzehnt vor- 
ausgewesen war. Und das war der große unvergängliche Gewinn, den 
das deutsche Volk aus der englisch-deutschen Krisis des Zahres 1896 um 
den Preis eines diplomatischen Mißerfolges gezogen hat, eines Miß- 
erfolges, der aus einer Boraussetzung erwachsen war, welche keine Politik 
der Welt rechtfertigen kann: ohne entsprechende Machtmittel Macht- 
politik zu treiben. 
Schon in den Jahren der Flotte des Heutschen Bundes um 1848 
war in Frankfurt das Wort gesprochen worden, daß ein Staat sich kein 
größeres Unternehmen vorsetzen könne, als das: eine Flotte zu bauen. 
Die alten See- und Flottenpraktiker, die Engländer, wußten das aus der 
eigenen Erfahrung wie aus derjenigen ihrer Rivalen zur See. Ob die 
Deutschen von 1897, welche für den Bau einer Kriegeflotte eintraten, 
sich über die Größe des damit begonnenen Unternehmens alle klare Rechen- 
schaft gaben, mag dahingestellt bleiben. In England sah man den deut- 
schen Bestrebungen während der neunziger Jahre, auch noch nachher, 
mit Ruhe zu. Die englische Presse belehrte die Deutschen wiederholt: 
in einem Kriege mit England würde die Biederlage Deutschlands nur 
um so schwerer, nur kostspieliger werden, je stärker die deutsche Flotte 
werde, denn diese könne natürlich niemals etwas erreichen, sondern werde 
schon in den ersten Tagen des Krieges von der englischen Ubermacht ver- 
nichtet werden. Wozu also eine Flotte bauen! 
Bis zum Jahre 1897 war das Streben des Deutschen Kaisers nicht 
von Erfolg begleitet gewesen, teils wegen des allgemeinen Unverständ- 
nisses und dementsprechenden Widerstandes im Reichstage, teils wegen 
einer amtlichen Vertretung, die der Geschicklichkeit, fester Gesichtspunkte 
und organischer Richtlinien entbehrte. 1897 im Sommer übernahm 
Kontreadmiral Tirpitz das Staatssekretariat des Reichs-Marine-Amts. 
Schon im Herbste desselben Zahres legte er einen organischen Flotten-
	        
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