Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die englische Handelseifersucht — Das erste Flottengesetz. 97 
  
plan vor, der sich von den Bestrebungen seiner Vorgänger in den Einzel- 
heiten und grundsätzlich völlig unterschied. Dieser Plan legte das ent- 
scheidende Gewicht auf die Hochseeflotte. Bisher hatte die Marineleitung, 
wie vorher auseinandergesetzt worden ist, gewissermaßen zwei Wege zu- 
gleich in der Entwicklung der Flotte zu beschreiten versucht: schwimmende 
und feste Küstenverteidigung, zusammen mit einem Kern der Schlacht- 
flotte in den heimischen Gewässern, eine große Anzahl schneller und kräf- 
tiger Kreuzer auf den Ozeanen, um dort den Kreuzerkrieg gegen den 
feindlichen Handel zu führen. Hiermit brach der neue Staatssekretär so- 
fort und gründlich. Der Gedanke, die Führung des Kreuzerkrieges zu 
einer Hauptaufgabe der Flotte zu machen, verschwand und der Begriff 
der unmittelbaren Küstenverteidigung trat für die nächste Zeit in den 
Hintergrund. Ziel des deutschen Flottenbaues wurde für die kommenden 
Zahre ausschließlich der Aufbau und die Organisation einer Hochsee- 
schlachtflotte. Zunächst bemaß man ihre Stärke gering, um den Anfang 
sicher zu haben — aus einer Reihe innerpolitischer, parlamentarischer, 
technischer, administrativer, auch militärischer Gründe. Oer unaus- 
gesprochene Gedanke des Kaisers und des Staatssekretärs war aber schon 
damals, dem Deutschen Neiche eine absolut und relativ starke Hochsee- 
flotte in erster Linie zu schaffen, und dann für das erforderliche Beiwerk 
an fester Küstenverteidigung und auswärtigen Stationärkreuzern zu 
sorgen. 
Man ist auf den ersten Blick vielleicht geneigt, diesen Wechsel und 
Umschwung gegen früher auoeschließlich vom militärischen und marine- 
technischen Standpunkte zu betrachten und nur aus ihm zu begründen. 
Tatsächlich war jener Gedanke aber neben seiner rein fachlichen Bedeu- 
tung ein neues politisches Moment erster Ordnung. 
Bisher war man in ODeutschland gewohnt gewesen, die beimischen 
Aufgaben und Notwendigkeiten der Kriegsflotte von denen, welche ihr 
in außerheimischen Gewässern zufielen, zu trennen. Wie oft wurde das 
Argument angewandt: wir brauchen keine „schweren, unbehilflichen 
Schlachtschiffe“, die im Frieden exerzieren und im Kriege nichts nützen; 
was Oeutschland haben muß, sind schnelle und kräftige Kreuzer, die im 
Frieden dem deutschen Ansehen und den deutschen Interessen im Aus- 
lande dienen, während sie im Kriege den deutschen Handel schützen und 
den feindlichen schädigen. Dieser Beweisführung lag, wenn überhaupt 
ein greifbarer Gedanke, die Annahme zugrunde, daß deutsche Interessen 
irgendwelcher Art jenseits der Ozeane an Ort und Stelle gegen eine 
andere zur See und über See starke Großmacht auf die Dauer wirksam 
verteidigt werden könnten. Als 1895 deutsche Krieger nach der Oela- 
goabucht gingen, da konnte man vielfach die Auffassung lesen: die deut- 
Graf Neventlow, Oeutschlands auewärtige Politik. 7
	        
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