Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die englische Handelseifersucht — Das erste Flottengesetz. 101 
  
wenn nicht die Notwendigkeit, so doch die Wahrscheinlichkeit enthalten, 
daß die deutsche Politik — gewissermaßen bei jeder Bewegung — bald 
hier, bald dort anecken und zu Mißstimmungen mit anderen Mächten ge— 
langen mußte, ohne daß immer vorher abzuschätzen war, ob man den 
Anlauf auch erfolgreich bis zum Ziele machen werde oder nicht. Gewiß 
sind gerade in dieser Richtung wiederholt Fehler gemacht worden, aber 
eine ungünstige Prädisposition war in den Berhältnissen enthalten, und 
die konsequente Frage, ob diese oder jene Situation zur Kriegsfrage ge- 
macht werden könne oder müsse, wurde in steigendem Naße Problem. 
Diese Berhältnisse und Mißverständnisse waren gelegentlich wohl 
geeignet, Zwiespältigkeit in unsere auswärtige Politik hineinzubringen. 
Es war begreiflich, daß Politiker und Diplomaten ohne genügende Kennt- 
nis der maritimen und marinepolitischen Grundelemente die Frage auf- 
warfen, was für einen Zweck denn eine Seerüstung habe, die einem nur 
Feinde schaffe und nie stark genug werden könne; eine Frage, die von der 
Presse und den Staatomännern des Auslandes den Oeutschen stets auf 
das eindringlichste vorgehalten wurde. 
So fing das Deutsche Reich mit dem Jahre 1897/98 an, seine Flotte 
planmäßig auszubauen, als sie — bei sehr geringem Qualitätswerte — 
halb so groß war wie die französische und ein Orittel der englischen be- 
trug. Die russische nahm eben damals einen gewaltigen Aufschwung. 
Rußland wollte weitschauende ostasiatische Pläne ausführen und seine 
Vormacht in den chinesischen Gewässern unumstritten machen. Auf 
eigenen und auf fremden Werften baute es Schlachtschiffe und Kreuzer. 
Zedes fertige Schiff wurde nach dem fernen Osten entsandt. In Frank- 
reich kämpften noch heftig die alte und die junge Schule miteinander. 
Die letztere war der Ansicht, daß es falsch sei, das Hauptgewicht auf die 
Linienschifföflotte zu legen, man müsse vielmehr in der Hauptsache große 
Kreuzermassen für den Handelskrieg bauen. Die italienische Flotten- 
macht war im Laufe des letzten Jahrzehntes stark zurückgegangen und 
die Neigung Italiens trat immer mehr hervor, mit Frankreich in gute 
Beziehungen zu gelangen, auch mit England in solchen zu bleiben. Man 
sieht, wie die Situation von 1889 sich allmählich und unaufhaltsam ver- 
schoben hatte: damals der schärfste Gegensatz und bittere Feindschaft 
zwischen Italien und Frankreich, eine volle Entente zwischen dem Drei- 
bunde und England für die Erhaltung des Status quo im Mittelländischen 
Meere und Extraanschluß der großbritannischen Politik an die des Orei- 
bundes. Geht man den Ursachen der Anderung nach, so liegen sie letzten 
Endes in den Seemachtfragen bei den verschiedenen Staaten. 
Die schnelle Beweglichkeit des Schiffes auf der überall gleich be- 
fahrbaren Fläche der Ozeane ist symbolisch für die zahlreichen Möglich-
	        
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