Cherbourg — Kreta — Kiautschou — Angola. 105
Zm August 1897 war Kaiser Wilhelm in Erwiderung des vorjährigen
Zarenbesuches in Kronstadt und Peterhof. Nach seiner Rückkehr sagte
er in einer Rede zu Graudenz: „Unser Nachbar im Osten, ein lieber, ge-
treuer Freund, hat dieselben politischen Ansichten wie ich.“ Die russische
Presse aber sprach damals — stark übertreibend — von der gewaltigen
Kraft des deutsch-russisch-französischen Bundes, er diene der unausbleib-
lichen Schwächung Englande.
Das deutsch-russische Einverständnis bezog sich nicht nur auf den
fernen Osten, sondern auf den nahen Osten.
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Oas zweite bedeutende Ereignis des Jahres 1897 war der Ausbruch
des Griechisch-Türkischen Krieges. Den Anlaß bildete eine heftige Stei-
gerung der beständigen Unruhen auf der Insel Kreta. Die dortigen Grie-
chen erhoben sich gegen die türkische Herrschaft und verlangten für sich
die griechische, während in Griechenland selbst die Bevölkerung das gleiche
forderte und der König sich genötigt sah, der Strömung nachzugeben.
Unter Führung eines Verwandten des Königs, des Obersten Bassos,
setzte eine griechische Truppenmacht nach Kreta über und ergriff tätig
Partei für die Aufständischen.
Die Frage war nicht neu, überhaupt hatte sich die Lage im Orient
seit einiger Zeit gespannt. Die „armenischen Greuel“ beschäftigten,
besonders im Jahre 1896, die internationale Offentlichkeit und die Politik
der Großmächte. Damals schickte England ein Geschwader vor Saloniki
und forderte alle Mächte auf, an einer maritimen Aktion teilzunehmen,
um die Türkei entweder zu Reformen in Armenien zu bewegen, oder
aber um gegen sie einzuschreiten. Die Mächte lehnten aber den englischen
Vorschlag ab, und die britische Politik erlitt dabei einen Mißerfolg.
Oie tiefere Ursache jener Pläne der Regierung Lord Salisburys lag
nun nicht in den wie gewöhnlich aufgebauschten und übertriebenen „ar-
menischen Greueln“, sondern in der Tatsache, daß der Sultan Abdul
Hamid Neigung gezeigt hatte, die ägyptische Frage aufzurollen. Lord
Salisbury gedachte deöhalb, jede Gelegenheit zu benutzen, um ein ge-
meinsames Vorgehen der Mächte gegen die Türkei zustande zu bringen
und dann womöglich überhaupt mit dem Türkischen Reiche ein Ende
zu machen. Die Handhabe sollte ihm in diesem Falle Armenien liefern.
Der Plan schlug fehl, weil Rußland ebenso wie Osterreich-Ungarn, trotz
ihrer Nebenbuhlerschaft auf dem Balkan, zunächst gleichgerichtete Ziele
hatten, auch die Erhaltung der Türkei. Rußland konnte ferner deshalb
eine Aufrollung der türkischen Frage nicht wünschen, weil es gerade
seine aktive und weitausschauende Politik im fernen Osten anbahnte.