Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Cherbourg — Kreta — Kiantschou — Angola. 107 
  
Friedens und dauernde Ordnung im Orient. Gleichlaufend mit diesen 
Außerungen gingen halbamtliche russische Kundgebungen: man wolle 
Europa vor dem Kriege bewahren und erkenne die Stellung Deutschlande 
in der kretischen Frage sowie Griechenland gegenüber als richtig an. 
Der österreichische Minister des Auswärtigen stellte sich auf denselben 
Standpunkt und pries mit besonderer Wärme die „erfreuliche Ausgestal- 
tung unseres Berhältnisses zu Rußland“. Die beiden Mächte seien auf 
Zusammengehen im Orient angewiesen, sie bätten sich geeinigt auf das 
Programm: keinerlei Eroberungsgedanken, Unabhängigkeit und Selbst- 
bestimmung der Balkanstaaten, Ausschluß jeder Einflußnahme auf ihre 
inneren Verhältnisse. — Die russische Presse aber eskomptierte trium- 
phierend die „unausbleibliche Schwächung Englands“. Das war diplo- 
matisch bis zu einem gewissen Grade der Fall, aber nur in der Orient- 
politik und vorübergehend. 
Oie deutsche Regierung hatte den Mächten eine Blockade der grie- 
chischen Häfen vorgeschlagen. Ourch eine solche würde es Griechenland 
unmöglich sein, weiteres Kriegsmaterial und Truppen nach Kreta zu 
senden, außerdem würde der Oruck dieser Maßnahme Griechenland in 
kurzem zur Unterwerfung unter den Willen der Mächte zwingen. Rein 
militärisch betrachtet war dieser Vorschlag zweifellos richtig, seine Ver- 
wirklichung würde zum Ziele geführt haben. Die weit wit#tigere Frage 
war nur, ob es gerade von seiten des Deutschen Reiches klug war, ihn zu 
machen, und dicse Frage mußte verneint werden. Großbritannien lehnte 
ihn sofort ab, nachdem kurz vorher Lord Salisbury die Erklärung im 
Parlamente gegeben hatte: das englische Volk sei den Griechen günstig 
gesinnt; „andere Teile Europas sind der Ansicht, daß Griechenland das 
Völkerrecht mißachtet und den Frieden Europas gestört habe“. Italien 
lehnte ebenfalls den deutschen Blockadevorschlag ab. — 
Der Griechisch-Türkische Krieg hat zu Ereignissen von europäischer 
Bedeutung bekanntlich nicht geführt. Oie verschiedenen diplomatischen 
Schachzüge der einzelnen Mächte sind ohne unmittelbare weittragende 
Folgen geblieben. Damals wurde in der deutschen Offentlichkeit, be- 
sonders durch die von Bismarck beeinflußte Presse, getadelt, daß die deutsche 
Politik sich mit ihrem Blockadevorschlage und mit ihrer scharfen Stellung- 
nahme gegen Griechenland überhaupt ohne Not in die vorderste Reihe, 
ja auf den am meisten exponierten Platz begab. Man muß diese Kritik 
auch heute noch als richtig anerkennen, wenn die Stellungnahme des 
Deutschen Reiches anderseits auch sicher den Zweck erreichte, der Türkei 
zu zeigen, daß Deutschland ihr zuverlässiger Freund sei und es nicht bei 
Worten bewenden lasse. 
Weit wichtiger erscheint der rückschauenden Betrachtung aber das
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.