Cherbourg — Kreta — Kiantschou — Angola. 107
Friedens und dauernde Ordnung im Orient. Gleichlaufend mit diesen
Außerungen gingen halbamtliche russische Kundgebungen: man wolle
Europa vor dem Kriege bewahren und erkenne die Stellung Deutschlande
in der kretischen Frage sowie Griechenland gegenüber als richtig an.
Der österreichische Minister des Auswärtigen stellte sich auf denselben
Standpunkt und pries mit besonderer Wärme die „erfreuliche Ausgestal-
tung unseres Berhältnisses zu Rußland“. Die beiden Mächte seien auf
Zusammengehen im Orient angewiesen, sie bätten sich geeinigt auf das
Programm: keinerlei Eroberungsgedanken, Unabhängigkeit und Selbst-
bestimmung der Balkanstaaten, Ausschluß jeder Einflußnahme auf ihre
inneren Verhältnisse. — Die russische Presse aber eskomptierte trium-
phierend die „unausbleibliche Schwächung Englands“. Das war diplo-
matisch bis zu einem gewissen Grade der Fall, aber nur in der Orient-
politik und vorübergehend.
Oie deutsche Regierung hatte den Mächten eine Blockade der grie-
chischen Häfen vorgeschlagen. Ourch eine solche würde es Griechenland
unmöglich sein, weiteres Kriegsmaterial und Truppen nach Kreta zu
senden, außerdem würde der Oruck dieser Maßnahme Griechenland in
kurzem zur Unterwerfung unter den Willen der Mächte zwingen. Rein
militärisch betrachtet war dieser Vorschlag zweifellos richtig, seine Ver-
wirklichung würde zum Ziele geführt haben. Die weit wit#tigere Frage
war nur, ob es gerade von seiten des Deutschen Reiches klug war, ihn zu
machen, und dicse Frage mußte verneint werden. Großbritannien lehnte
ihn sofort ab, nachdem kurz vorher Lord Salisbury die Erklärung im
Parlamente gegeben hatte: das englische Volk sei den Griechen günstig
gesinnt; „andere Teile Europas sind der Ansicht, daß Griechenland das
Völkerrecht mißachtet und den Frieden Europas gestört habe“. Italien
lehnte ebenfalls den deutschen Blockadevorschlag ab. —
Der Griechisch-Türkische Krieg hat zu Ereignissen von europäischer
Bedeutung bekanntlich nicht geführt. Oie verschiedenen diplomatischen
Schachzüge der einzelnen Mächte sind ohne unmittelbare weittragende
Folgen geblieben. Damals wurde in der deutschen Offentlichkeit, be-
sonders durch die von Bismarck beeinflußte Presse, getadelt, daß die deutsche
Politik sich mit ihrem Blockadevorschlage und mit ihrer scharfen Stellung-
nahme gegen Griechenland überhaupt ohne Not in die vorderste Reihe,
ja auf den am meisten exponierten Platz begab. Man muß diese Kritik
auch heute noch als richtig anerkennen, wenn die Stellungnahme des
Deutschen Reiches anderseits auch sicher den Zweck erreichte, der Türkei
zu zeigen, daß Deutschland ihr zuverlässiger Freund sei und es nicht bei
Worten bewenden lasse.
Weit wichtiger erscheint der rückschauenden Betrachtung aber das