Cherbourg — Kreta — Kiautschou — Angola. 113
sich am besten eignen würde, bei sich bietender Gelegenheit als deutscher
Fußpunkt im Reiche der Mitte ausersehen zu werden. Man war sich
über die Kiautschoubucht einig geworden. Ihre Lage ist gewissermaßen
zentral zu den japanischen Gewässern, dem Gelben Meere und der Vang-
tsemündung. Oie Bucht ist eisfrei und, wie wir ja jetzt übrigens schon
lange wissen — einer der besten Häfen, wenn nicht der beste, an der chine-
sischen Küste. Das Klima ist gut. Besonders fiel die Beschaffenheit des
Hinterlandes ins Gewicht. ARicht nur wußte man, daß umfangreiche
Kohlenlager dort waren, sondern für Bahnanschlüsse nach dem Innern
des Reiches lag der Hafen sehr günstig, wie sich nachher auch auf das
einwandfreieste erwiesen hat. Zugleich mit dem Pachtvertrage war mit
der chinesischen Regierung die Konzession einer Eisenbahn vom Pacht-
gebiete nach Norden bis zum späteren Anschluß an das damals geplante
chinesische Eisenbahnnetz vereinbart worden.
Es berührte merkwürdig, daß zahlreiche bedenkliche Beurteiler
damals von einem impulsiven und unüberlegten Schritte sprachen, wo
doch gerade die überaus schnelle Aufeinanderfolge der Landung, der
Proklamation des Admirals, des Pachtvertrages und des Konzessions-
vertrages den schlagendsten Beweis für eine von langer Hand her über-
legte und in allen Einzelheiten vorbereitete Aktion sprach.
Zweifellos hat es der deutschen Politik damals tatsächlich fern-
gelegen, mit der Besitznahme bzw. Pacht des Kiautschougebietes die Inte-
grität des Chinesischen Reiches zu verletzen oder auf Zerstückelung bin-
zuwirken. Daß eine allgemeine Aufteilung Chinas früher oder später
bevorstehe, mag man allerdings wohl für nicht unwahrscheinlich gehalten
haben. Die vom Staatesekretär für die Fußfassung genannten Gründe
waren aber keine Vorwände, sondern wirklich maßgebend gewesen. Die
Ermordung der Missionare bildete den Anlaß zur Aktion der Besitznahme,
nichts weiter. Was man aus der Kiantschoubucht in der Folge machen
solle, darüber haben allerdings längere Zeit noch Erwägungen geschwebt.
Die Frage war, ob man unter großen Geldaufwendungen eine Küsten-
festung ersten Ranges aus dem Platze machen wollte oder nicht. Man
entschied sich, es nicht zu tun, sondern das Pachtgebiet nach der Seeseite
wie nach der Landseite lediglich gegen Handstreich zu schützen. Der Ge-
danke war verlockend, einen festen Platz zu schaffen, etwa von der Be-
deutung, wie sie die Russen kurz darauf Port Arthur zu geben gedachten:
die einer uneinnehmbaren Festung. Es hat Jahre gegeben, wo diese An-
sicht in Deutschland auch viele und gewichtige Anhänger hatte. Gleich-
wohl ist es gut, daß nichts daraus wurde, und zwar aus folgenden Gründen:
Deutschland hatte nicht die Möglichkeit, eine gesicherte Seeverbindung
nach Kiautschou zu unterhalten. Es hing immer ab von dem guten Willen
Graf Reventlow, Deutschlands auswärtige Politik. 8