Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

134 2. Abschnitt. Weltpolitische Mũhen ohne zureichende Mittel. 1895—1903. 
  
tralität Italiens versprochen hätte. Tatsächlich ist da wohl manches ver- 
säumt worden. Fürst Bülow hat einige Jahre später im Reichstage den 
Dreibund mit einer Festung verglichen, auf deren Glacis bei langdauern- 
dem Frieden die Bäume emporwüchsen und die Festung selbst verdeckten. 
Zm Kriege werde das Glacis im Umsehen rasiert, und das Ganze sei 
gefechtsbereit. Der Bergleich hat gerade in bezug auf den Oreibund 
manches Wahre, aber er läßt außer acht, daß jene Bäume auch Wur- 
zeln haben, die sich tief in das Glacis hineinsenken und von einem ge- 
wissen Punkte an seine Flächen und auch das festeste Mauerwerk zer- 
stören. 
Zm 1. Abschnitt ist die eigentümliche Stellung Ztaliens bereits all- 
gemein behandelt worden. Das Jahr 1898 lieferte die erste Probe auf 
das Exempel. Die Ztaliener sagten sich, daß ihre Schwäche zur See sie 
nötige, Stütze an einer großen Seemacht zu suchen, anderseits daß Diffe- 
renzen des Oeutschen Reiches mit England und mit Frankreich für Italien 
überaus bedenklich sein würden. Man begrüßte es deshalb ohne Zweifel 
als Erlösung, daß die Krisis von Faschoda mit einem Vertrage endete, 
der tatsächlich reinen Tisch binsichtlich eines erheblichen Teiles der kolo- 
nialen Beziehungen Frankreichs und Englands machte, hauptsächlich 
auch, daß Oelcassé, der neue Leiter der französischen Politik, energisch 
auf gute französisch-englische Beziehungen hinarbeitete. 
Oiese beiden gänzlich neuen politischen Konstellationen ergaben sich 
für Frankreich wie für Italien aus ihrer Schwäche, und zwar aus ihrer 
Schwäche zur See. Die Schwäche zur See machte Frankreich von 
nun an zum Gefolgsmanne Großbritanniens. Oie Schwäche zur See 
war die Ursache, daß Italien den alten Kurs, den Crispi ihm gewiesen hatte, 
nicht mehr weiter zu steuern wagte. Die wirtschaftlichen Gründe hingen 
letzten Endes ebenfalls hiermit zusammen. Schwäche zur See auf seiten 
des Deutschen Reiches und Österreich-Ungarns bildeten die Ursache da- 
für, daß Jalien tatsächlich im Mittelmeere für den Kriegsfall keine Stütze 
an seinen Bundesgenossen besaß. Und Schwäche zur See war es schließ- 
lich, welche die deutsch-englischen Beziehungen beeinträchtigte, derart 
zu werden, wie sie allein gesund und dauerhaft sein konnten, nämlich 
auf dem Fuße der Gleichberechtigung. 
Oie öffentliche Meinung in ODeutschland begann damals jenen un- 
klugen Feldzug, der beinahe anderthalb Jahrzehnte gedauert hat, gegen 
den „unzuverlässigen Bundesgenossen“ Italien, mit Geringschätzung 
und Unwillen. Das war ein in jedem Sinne politisch unrichtiges Ver- 
fahren, hat auch nur der französischen Politik in die Hände gearbeitet. 
Wahrscheinlich begann damals in Ztalien auch der Zweifel Platz zu greifen, 
ob die deutsch-österreichisch-ungarische Wehrmacht zu Lande der französisch-
	        
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