Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Faschoda — Manila — Samoa. 137 
  
die deutsche Regierung habe dem Geiste und dem Buchstaben nach eine 
Neutralität betätigt, welche weder kalt noch mißgünstig gewesen sei. 
Oazu kamen wirtschaftliche Differenzen zwischen den beiden Län- 
dern, die in verschiedener Auslegung und Auffassung der Meistbegünsti- 
gungsklausel bestanden. In den Bereinigten Staaten war man höchst 
ungehalten, daß Oeutschland sich nicht ohne weiteres dem amerikanischen 
Standpunkte anpaßte und sich den aus ihm erwachsenden Forderungen 
nicht unterwarf. Die wirksamste Ursache für diese sachlich wenig ge- 
rechtfertigten Stimmungen bildete aber eine rege und zielbewußte Presse- 
hetze, welche von britischer Seite mit gewohnter Geschicklichkeit betrieben. 
wurde. So sehr Großbritannien gerade zu jener Zeit ein enges Zu- 
sammengehen mit DOeutschland wünschte, so vorteilhaft schien, wenn 
nicht den augenblicklichen Leitern des Staates, so doch sicher dem über- 
wiegenden Teile der öffentlichen Meinung und den Orahtziehern der 
Presse: Mißtrauen gegen Deutschland in den Vereinigten Staaten zu 
schaffem. Das gelang, wie angedeutet, in überraschender Weise dank 
der amerikanischen Eigenart: dem immer wachen Mißtrauen, nicht ge- 
nügend respektiert zu werden, dank dem überspannten naiven Seldbst- 
bewußtsein und der Aberschätzung jeder eigenen Leistung verglichen mit 
denen anderer. So war für lange Zeit die Legende in den Bereinigten 
Staaten unausrottbar, daß der deutsche Admiral Oiederichs mit seinem 
Kreuzergeschwader nach Manila gekommen sei, um die amerikanische 
Aktion zu hindern und sich, wenn möglich, der Pbilippinen zu bemäch-- 
tigen. Nur die Furcht vor Admiral Dewepy und seinem Geschwader habe 
ihn abgehalten, seinen Vorsatz auszuführen. 
Daß die deutsche Neutralität von Anfang an eine tatsächliche ge- 
wesen ist und sein sollte, kann nicht bezweifelt werden. Es hätte nichts 
Törichteres und Zweckloseres gegeben, als in den Streit der beiden Mächte 
einzugreifen. Einmal wäre der dann entstehende Konflikt schwerlich 
isoliert geblieben, vor allem aber hatte Deutschland keine Flotte, es hatte 
auch keine Stützpunkte, um einen Krieg gegen die Bereinigten Staaten 
führen zu können. Feblten aber diese Grundlagen, so waren, ipso facto, 
auch für wirksamen diplomatischen Druck auf die Bereinigten Staaten 
keine vorhanden. Kurz, will man alle moralischen und anderen Bewecg- 
gründe beiseite setzen, nur Möglichkeits-- und Zweckmäßigkeitsgründe 
ins Auge fassen, so stellt sich heraus, daß eine nichtneutrale Haltung des 
Deutschen Reiches eine ganz außerordentliche Torheit gewesen wäre. 
Die Aufgabe des deutschen Geschwaders im Kreuzfeuer amerikanischen 
Mißtrauens und britischer Hetzerei war eine beikle trotz ihres einwand- 
freien Zweckes. Auch die Situation des amerikanischen Blockadege- 
schwaders war aus militärischen und politischen Gründen zeitweilig
	        
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