Faschoda — Manila — Samoa. 137
die deutsche Regierung habe dem Geiste und dem Buchstaben nach eine
Neutralität betätigt, welche weder kalt noch mißgünstig gewesen sei.
Oazu kamen wirtschaftliche Differenzen zwischen den beiden Län-
dern, die in verschiedener Auslegung und Auffassung der Meistbegünsti-
gungsklausel bestanden. In den Bereinigten Staaten war man höchst
ungehalten, daß Oeutschland sich nicht ohne weiteres dem amerikanischen
Standpunkte anpaßte und sich den aus ihm erwachsenden Forderungen
nicht unterwarf. Die wirksamste Ursache für diese sachlich wenig ge-
rechtfertigten Stimmungen bildete aber eine rege und zielbewußte Presse-
hetze, welche von britischer Seite mit gewohnter Geschicklichkeit betrieben.
wurde. So sehr Großbritannien gerade zu jener Zeit ein enges Zu-
sammengehen mit DOeutschland wünschte, so vorteilhaft schien, wenn
nicht den augenblicklichen Leitern des Staates, so doch sicher dem über-
wiegenden Teile der öffentlichen Meinung und den Orahtziehern der
Presse: Mißtrauen gegen Deutschland in den Vereinigten Staaten zu
schaffem. Das gelang, wie angedeutet, in überraschender Weise dank
der amerikanischen Eigenart: dem immer wachen Mißtrauen, nicht ge-
nügend respektiert zu werden, dank dem überspannten naiven Seldbst-
bewußtsein und der Aberschätzung jeder eigenen Leistung verglichen mit
denen anderer. So war für lange Zeit die Legende in den Bereinigten
Staaten unausrottbar, daß der deutsche Admiral Oiederichs mit seinem
Kreuzergeschwader nach Manila gekommen sei, um die amerikanische
Aktion zu hindern und sich, wenn möglich, der Pbilippinen zu bemäch--
tigen. Nur die Furcht vor Admiral Dewepy und seinem Geschwader habe
ihn abgehalten, seinen Vorsatz auszuführen.
Daß die deutsche Neutralität von Anfang an eine tatsächliche ge-
wesen ist und sein sollte, kann nicht bezweifelt werden. Es hätte nichts
Törichteres und Zweckloseres gegeben, als in den Streit der beiden Mächte
einzugreifen. Einmal wäre der dann entstehende Konflikt schwerlich
isoliert geblieben, vor allem aber hatte Deutschland keine Flotte, es hatte
auch keine Stützpunkte, um einen Krieg gegen die Bereinigten Staaten
führen zu können. Feblten aber diese Grundlagen, so waren, ipso facto,
auch für wirksamen diplomatischen Druck auf die Bereinigten Staaten
keine vorhanden. Kurz, will man alle moralischen und anderen Bewecg-
gründe beiseite setzen, nur Möglichkeits-- und Zweckmäßigkeitsgründe
ins Auge fassen, so stellt sich heraus, daß eine nichtneutrale Haltung des
Deutschen Reiches eine ganz außerordentliche Torheit gewesen wäre.
Die Aufgabe des deutschen Geschwaders im Kreuzfeuer amerikanischen
Mißtrauens und britischer Hetzerei war eine beikle trotz ihres einwand-
freien Zweckes. Auch die Situation des amerikanischen Blockadege-
schwaders war aus militärischen und politischen Gründen zeitweilig