Deutschland und England während des Burenkrieges. 143
Die Tragik der damaligen Burenrepubliken ist besonders in der
deutschen Bevölkerung stark empfunden worden. Ein friedliches Land-
volk, das von der Außenwelt nichts wußte, auch nichts wissen wollte,
das weder Neigung noch Anlage zu andersgearteter Entwicklung in sich
trug, hatte das Unglück, daß Fremde auf seinem Gebiete Schätze an Gold
und Diamanten entdeckten. Zu Tausenden und zu Zehntausenden kamen
die Fremden, zumeist Engländer, ins Land, brachten fremden Geist
und internationale Bestrebungen binein, blieben selbst im Lande und
wurden eine Macht, die schließlich nach staatsbürgerlicher Gleichberech-
tigung verlangte. So entstand die Ausländerfrage; Angehörige ge-
rade desjenigen Volkes war die Mehrzahl dieser Fremden, dessen Regie-
rung die Suzeränität über Transvaal beanspruchte, und dessen Volks-
genossen die beiden südafrikanischen Republiken, begierig nach weiterer
Ausdehnung, an ihren Grenzen immer enger umschlossen. Gewiß, die
Tragik ist vorhanden, sie hat sich in ähnlicher Form schon öfter in der
Weltgeschichte gefunden, aber die Weltgeschichte hat noch jedesmal die
gleiche und mitleidslose Antwort gegeben: das betreffende Bolk mit
seiner Tragik entweder zermalmt oder zur Anpassung an Berhältnisse
gezwungen, die ihm ursprünglich widerstrebten.
Oer deutschen Politik war ihr Verhalten während des Burenkrieges
fest und unwiderruflich vorgezeichnet. Sie konnte vernünftigerweise
keine andere sein als die der Neutralität. Angesichts der leidenschaftlich
gegen England und für die Buren erregten Bolksstimmung in Oeutsch--
land wurde seinerzeit eine Redewendung Kaiser Wilhelms erzählt: Der
Kaiser sagte, das BVerlangen, Deutschland solle im Transvaalkriege inter-
venieren, sei ungefähr dasselbe, alo wenn man jemanden auffordere,
durch Wedeln mit seinem Taschentuche ein durchgehendes Pferd anzu-
halten. Der Vergleich traf zu. Das DOeutsche Reich verfügte tatsächlich
über kein einziges Mittel, um wirksam intervenieren zu können. Groß-
britannien beherrschte um die Jahrhundertwende die Ozeane unbe-
schränkter denn je. Der südafrikanische Krieg kostete Geld und Men-
schen, aber er schwächte die britische Flotte nicht. Die britischen Geschwa-
der wurden vom Beginne des Burenkrieges an derart über die Ozeane
verteilt, daß sie die Truppentransporte laufend deckten, während an
strategisch wichtigen Punkten der Meeresstraßen besondere Geschwader
stationiert waren, die ebenso wie in der Heimat für alle „Eventualitäten“
bereitstanden. Tatsächlich brauchte England keine Eventualitäten zu
fürchten. Der umfassende Aufmarsch seiner seebeherrschenden Flotte
war teils ein Akt allgemeiner Vorsicht, teils eine marinepolitische Deimon-
stration der europäischen Welt gegenüber, wie sie imponierender und
anschaulicher schwerlich hätte sein können.