Oeutschland und England während des Burenkrieges. 145
daß Deutschland in einem solchen Kriege auf eigene Kräfte ausschließlich
angewiesen sein würde. Dabei wäre Frankreich, als die einzige kon-
tinentale Flottenmacht von Bedeutung, auch der einzige wirksame
Bundesgenosse für das Oeutsche Reich gewesen. Rußland würde zwar
in Ostasien, in Mittelasien und vielleicht auch in Persien die Berlegenbeit
eines in einen europäischen Krieg verwickelten Großbritanniens nach-
drücklich für seinen Vorteil benutzt haben, aber ODeutschland hätte davon
schwerlich irgendeinen Vorteil oder auch nur eine Erleichterung gehabt.
Ganz abgesehen von der Qualität der Schiffe und Besatzungen, lag der
beste Teil der russischen Schlachtflotte nicht in den europäischen, sondern
in den ostasiatischen Gewässern versammelt. Österreich konnte für das
Deutsche Reich ebensowenig wie Italien als Bundesgenosse in einem
Kriege mit England in Betracht kommen. Die Oreibundverträge bezogen
sich nur auf strikte Verteidigung, außerdem überhaupt nicht auf Groß-
britannien, die Machtverhältnisse zur See der beiden Staaten schlossen
auch jede Neigung zu einer Beteiligung vollkommen aus. Ebensowenig
dachten die Bereinigten Staaten von Nordamerika an eine offen england-
feindliche Stellungnahme. Sie glaubten mit Recht praktischer zu handeln,
als sie in aller Freundlichkeit die englischen Berlegenheiten benutzten,
um den bis dahin geltenden Panamakanalvertrag (Clapton-Bulwer-
Vertrag) in ihrem Sinne durch den Hay-Pauncefote-Vertrag ändern zu
lassen, auch in der Alaskafrage die britische Nachgiebigkeit zu erreichen.
Nach der Stimmung in den Bereinigten Staaten wäre man einem Kriege
mit ODeutschland erbeblich geneigter gewesen als einer Intervention im
Burenkriege, Arm in Arm mit dem Oeutschen Reiche.
Die Kriegsflotte des Deutschen Reiches stand zu Anfang des Buren-
krieges annähernd auf derselben Stufe wie im Augenblicke der Krüger-
depesche. Ihre Vernichtung hätte Großbritannien geringe Mühe und
kein Risiko verursacht. Die deutsche Handelsflotte, die überseeischen
Handelsbeziehungen des Deutschen Reiches und der deutsche Kolonial-
besitz wären in britischer Hand gewesen. Alles in allem hatte der deutsche
Kanzler recht: die Burenrepubliken durften nicht den Angelpunkt der
Politik des Deutschen Reiches bilden.
Als viele Jahre später, 1908, die Haltung des Oeutschen Reiches,
insbesondere des Deutschen Kaisers während des Burenkrieges, infolge
der bekannten Veröffentlichungen des „Daily Telegraph“ zur Erörterung
gelangte, erklärte det ehemalige Burengeneral Ben Biljoen, er sei bei
einer Beratung zugegen gewesen, wo der Präsident Krüger erklärt habe,
er besitze die Bersicherung Kaiser Wilhelms, daß Deutschland Groß-
britannien nicht erlauben werde, sich der Burenrepubliken zu bemäch-
tigen. Sollten die Buren unglücklich fechten, so würden Deutschland,
Graf Reventlow, Oeutschlands auewärtige Polltic. 10