Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

148 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1905. 
  
möchte man sagen. Es ist freilich nicht anzunehmen, daß, selbst wenn 
Frankreich eine derartige Anerkennung des Besitzstandes gegeben hätte, 
Deutschland sich mit den beiden anderen Mächten auf einen Krieg gegen 
England eingelassen haben würde. Dazu lagen auch dann die Verhält- 
nisse zu ungünstig, es war nichts dabei zu gewinnen, aber viel zu ver- 
lieren. Uber See und auf der See hätte man nur verloren, während 
für sicheren großen Gewinn auf dem Festlande die Bedingungen nicht 
günstig lagen, schon in Anbetracht der beiden Bundesgenossen Frankreich 
und Rußland mit ihren Bestrebungen im Orient. Aberdies konnte jede 
folgende französische Regierung die Anerkennungserklärung des euro- 
päischen Besitzstandes widerrufen. Wahrscheinlich ist vielmehr, daß Bülom 
die Frage nur stellte, um die beiden anderen Mächte festzunageln, weil 
er ihre Absicht, Deutschland vorzuschicken und den weiteren Gang der 
Ereignisse auf Kosten des Deutschen NReiches, so oder so, auszunutzen, 
bloßlegen wollte. 
Zn England fuhr man in auffälliger Weise fort, freundliche Ge- 
sinnung gegen Deutschland zu betonen. Anfang November erklärte Lord 
Salisbury gelegentlich des Samoavertrages: die Inseln seien nicht um 
ihrer selbst willen so wichtig, sondern weil sie „Streitgegenstand waren 
zwischen uns und einer Nation, deren Wohlwollen wir hochschätzen“. Die 
Lage zeige, daß die Beziehungen Englands zu Deutschland „im gegen- 
wärtigen Zeitpunkte so sind, wie wir es nur wünschen können“. Am 
50. November 1899 hielt Chamberlain in Leicester seine berühmte Rede 
über die Notwendigkeit eines germanisch-angelsächsischen Dreibundes: 
jeder weitblickende englische Staatsmann müsse wünschen, daß man nicht 
dauernd vom Kontinent isoliert bleibe, „und ich denke, daß in dem Augen- 
blicke, wo dieses Bestreben Gestalt annahm, es als offenbar erscheinen 
muß, daß die natürlichste Allianz diejenige zwischen uns und dem großen 
Deutschen Reiche ist. Wir batten unsere Meinungsverschiedenheiten, 
unsere Zwistigkeiten und Streitpunkte mit Deutschland.“ Oas seien aber 
alles geringfügige Dinge gewesen, während in den Hauptpunkten die 
deutschen und die englischen Bestrebungen nicht miteinander kollidierten, 
sondern die gleichen seien. Dazu kämen die Bereinigten Staaten von 
Amerika. Oiese drei Mächte zusammen würden eine neue Tripelallianz 
innerhalb der germanischen Rassen bilden. Es brauche keine geschrie- 
bene Allianz zu sein, ja, ein Einverständnis sei vielleicht sogar besser als 
eine Allianz. — 
Diese und manche andere Außerungen erregten naturgemäß ein 
außerordentliches Aufsehen, fanden aber in der deutschen Offentlichkeit 
eine kühle, meist völlig abtehnende Aufnahme. Man warf der britischen 
Regierung, in erster Linie Chamberlain, Heuchelei vor. Dieser Vorwurf
	        
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