1 30 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1903.
Das Bündnisangebot Chamberlains war neben allem anderen zu
einem ungünstigen Zeitpunkte gemacht worden. Es fiel in die Zeit der
höchsten antienglischen Erregung der öffentlichen Meinung in Deutschland
und in die Periode der englischen Niederlagen in Südafrika. Ein großer
Teil der öffentlichen Meinung — und wohl nicht allein in Deutschland —
hoffte nicht nur, sondern glaubte, daß die Buren sich ihre Freibeit doch
noch bewahren und ihre Unabhängigkeit erkämpfen würden. Oie eng-
lischen Freundschafts- und Bündnisangebote bezog man auf die englische
Niedergeschlagenheit und nahm sie als ein Hilfesuchen, während sie sich
in der Tat ja gar nicht auf die südafrikanischen Dinge bezogen. Aun,
so hieß es aber im Deutschen Reiche, kommt das stolze Großbritannien
und will deutsche Hilfe und deutsche Unterstützung, wo es in Südafrika
nicht weiter kann. Deshalb, so schloß man weiter, sei gerade der Augen-
blick gekommen, wo die deutsche Politik die jedenfalls noch kommenden
Gelegenheiten gegen England ausnützen müsse.
Vier Wochen nach Chamberlains Rede traten aber Ereignisse ein,
welche die deutsche Stimmung in noch viel höherem Grade gegen Groß-
britannien erhitzten. Das war die Beschlagnahme des deutschen Reichs-
postdampfers „Bundesrat“ am 28. Dezember, des Reichspostdampfers
„General“ am 4. Januar, des Dampfers „Herzog“ und des Segelschiffes
„Marie“ am 7. Januar.
Der Reichspostdampfer „Bundesrat“ wurde in der Oelagoabai, also
in einem neutralen Territorialgewässer, von dem britischen Kreuzer
„Magicienne“ angehalten wegen Berdachtes, Konterbande zu führen,
und nach dem britischen Hafen Durban geschleppt, um dort auf die Be-
schaffenheit seiner Ladung untersucht zu werden. Aber diese Beschlag-
nahme war die Erregung in Deutschland besonders groß, weil es sich
um einen Reichspostdampfer handelte und um bloßen — nicht begrün-
deten — Verdacht der Konterbande. Die rasche Folge der drei anderen
Beschlagnahmen rief eine maßlose Erbitterung hervor, zumal sich bald
erwies, daß bei jedem Schiffe der BVerdacht unbegründet war. Sie wurden
sämtlich freigegeben, der „General“ nach acht Tagen, „Herzog"“ nach
vier Tagen, „Bundesrat“ jedoch erst nach 21 Tagen und die „Marie“
nach 15 Tagen. Oas Anhalten, Aufbringen und Ourchsuchen der
vier Schiffe war tatsächlich unberechtigt gewesen. Die deutsche Regie-
rung erhob sofort Vorstellungen in London mit dem BVerlangen un-
verzüglicher Freigabe der Schiffe. Die englische Admiralität wies am
1. Januar die dieosbezüglichen britischen Befehlshaber an, daß weder der
„Herzog“ noch ein anderer deutscher Postdampfer auf bloßen Berdacht
bin angehalten werden solle, solange nicht klar sei, daß der Postdampfer
„Bundesrat“ Konterbande führe. Dieser sei so schnell wie möglich auf