Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

1 30 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1903. 
  
Das Bündnisangebot Chamberlains war neben allem anderen zu 
einem ungünstigen Zeitpunkte gemacht worden. Es fiel in die Zeit der 
höchsten antienglischen Erregung der öffentlichen Meinung in Deutschland 
und in die Periode der englischen Niederlagen in Südafrika. Ein großer 
Teil der öffentlichen Meinung — und wohl nicht allein in Deutschland — 
hoffte nicht nur, sondern glaubte, daß die Buren sich ihre Freibeit doch 
noch bewahren und ihre Unabhängigkeit erkämpfen würden. Oie eng- 
lischen Freundschafts- und Bündnisangebote bezog man auf die englische 
Niedergeschlagenheit und nahm sie als ein Hilfesuchen, während sie sich 
in der Tat ja gar nicht auf die südafrikanischen Dinge bezogen. Aun, 
so hieß es aber im Deutschen Reiche, kommt das stolze Großbritannien 
und will deutsche Hilfe und deutsche Unterstützung, wo es in Südafrika 
nicht weiter kann. Deshalb, so schloß man weiter, sei gerade der Augen- 
blick gekommen, wo die deutsche Politik die jedenfalls noch kommenden 
Gelegenheiten gegen England ausnützen müsse. 
Vier Wochen nach Chamberlains Rede traten aber Ereignisse ein, 
welche die deutsche Stimmung in noch viel höherem Grade gegen Groß- 
britannien erhitzten. Das war die Beschlagnahme des deutschen Reichs- 
postdampfers „Bundesrat“ am 28. Dezember, des Reichspostdampfers 
„General“ am 4. Januar, des Dampfers „Herzog“ und des Segelschiffes 
„Marie“ am 7. Januar. 
Der Reichspostdampfer „Bundesrat“ wurde in der Oelagoabai, also 
in einem neutralen Territorialgewässer, von dem britischen Kreuzer 
„Magicienne“ angehalten wegen Berdachtes, Konterbande zu führen, 
und nach dem britischen Hafen Durban geschleppt, um dort auf die Be- 
schaffenheit seiner Ladung untersucht zu werden. Aber diese Beschlag- 
nahme war die Erregung in Deutschland besonders groß, weil es sich 
um einen Reichspostdampfer handelte und um bloßen — nicht begrün- 
deten — Verdacht der Konterbande. Die rasche Folge der drei anderen 
Beschlagnahmen rief eine maßlose Erbitterung hervor, zumal sich bald 
erwies, daß bei jedem Schiffe der BVerdacht unbegründet war. Sie wurden 
sämtlich freigegeben, der „General“ nach acht Tagen, „Herzog"“ nach 
vier Tagen, „Bundesrat“ jedoch erst nach 21 Tagen und die „Marie“ 
nach 15 Tagen. Oas Anhalten, Aufbringen und Ourchsuchen der 
vier Schiffe war tatsächlich unberechtigt gewesen. Die deutsche Regie- 
rung erhob sofort Vorstellungen in London mit dem BVerlangen un- 
verzüglicher Freigabe der Schiffe. Die englische Admiralität wies am 
1. Januar die dieosbezüglichen britischen Befehlshaber an, daß weder der 
„Herzog“ noch ein anderer deutscher Postdampfer auf bloßen Berdacht 
bin angehalten werden solle, solange nicht klar sei, daß der Postdampfer 
„Bundesrat“ Konterbande führe. Dieser sei so schnell wie möglich auf
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.