Der Schritt zur deutschen Hochseeflotte. 153
vom 18. Oktober 1899 hat nicht nur rein militärisch-maritim, sondern auch
für die auswärtige Politik des Deutschen Reiches eine neue Ara einge-
leitet:
„Aber auch hier (Hamburg) weiß man es am höchsten zu schätzen,
wie notwendig ein kräftiger Schutz und die unentbehrliche Stärkung
unserer Seestreitkräfte für unsere auswärtigen Interessen sind. Ooch
langsam nur greift das Gefühl hierfür im deutschen Vaterlande Platz, das
leider noch zu sehr seine Kräfte in fruchtlosen Parteiungen verzehrt. Mit
tiefer Besorgnis habe ich beobachten müssen, wie langsame Fortschritte
das Interesse und politische Verständnis für große und weltbewegende
Fragen unter den Deutschen gemacht hat. Blicken wir um uns her, wie
hat seit einigen Jahren die Welt ihr Antlitz verändert! Alte Weltreiche
vergehen und neue sind im Entstehen begriffen. Nationen sind plötz-
lich im Gesichtskreise der Bölker erschienen und treten in ihren Wett-
bewerb mit ein, von denen kurz zuvor der Laie noch wenig bemerkt hatte.
Exzeugnisse, die umwälzend wirken auf dem Gebiete internationaler Be-
ziehungen sowohl wie auf dem Gebiete nationalökonomischen Lebens
der Völker, und die in alten Zeiten Jahrhunderte zum Reifen brauchten,
vollziehen sich in wenigen Monden. Oadurch sind die Aufgaben für unser
Deutsches Reich und Volk in mächtigem Umfange gewachsen und er-
beischen für mich und meine Regierung ungewöhnliche und schwere An-
strengungen, die nur dann von Erfolg gekrönt sein können, wenn ein-
beitlich und fest, den Parteiungen entsagend, die Oeutschen hinter uns
stehen. Es muß dazu aber unser Bolk sich entschließen, Opfer zu bringen.
Vor allem muß es ablegen seine Sucht, das Höchste in immer schärfer
sich ausprägenden Parteirichtungen zu suchen. Es muß aufbören, die
Partei über das Wohl des Ganzen zu stellen. Es muß seine alten Erb-
fehler eindämmen, alles zum Gegenstande ungezügelter Kritik zu machen,
und es muß vor den Grenzen haltmachen, die ihm seine eigensten vitalsten
Interessen ziehen. Denn gerade diese alten politischen Sünden rächen
sich jetzt schwer an unseren Seeinteressen und unserer Flotte. Wäre ihre
Verstärkung mir in den ersten acht Jahren meiner Regierung trotz in-
ständigen Bittens und Warnens nicht beharrlich verweigert worden,
wobei sogar Hohn und Spott mir nicht erspart geblieben sind, wie anders
würden wir dann unseren blühenden Handel und unsere überseeischen
Interessen fördern können. Doch meine Hoffnungen, daß der Deutsche
sich ermannen werde, sind noch nicht geschwunden, denn groß und mächtig
schlägt die Liebe in ihm zu seinem Vaterlande.“ — —
Das Flottengesetz von 1898 war der Auftakt gewesen, gleichsam ein
Fühler innerpolitischer und technischer Natur. Jetzt kam die Stunde
des zweiten, des entscheidenden Schrittes. Sie war günstig gewählt