Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Der Schritt zur deutschen Hochseeflotte. 157 
  
des Kreuzerkrieges gewonnen. Oer Marineminister de Lanessan setzte 
ein Flottenbauprogramm von sechs Linienschiffen, vier Panzerkreuzern 
und leichten Streitkräften durch. In den damaligen französischen Oe- 
batten und gleichzeitig in der Presse wurde zwar überwiegend von Eng- 
land als dem Gegner zur See gesprochen, der für die Zusammensetzung 
der französischen Wehrkraft maßgebend sein müsse. Es klang aber schon 
stark die Ansicht durch, daß immer mehr die deutsche Flotte berücksichtigt 
werden müsse. Man hatte in den letzten beiden Jahren des Jahrhunderte 
gesehen, daß die Ourchführung des deutschen Programmes von 1898 
methodisch und pünktlich erfolgte, und konnte sich anderseits der Erkennt- 
nis nicht mehr verschließen, daß durch frühere UAUnterlassungssünden, 
hauptsächlich durch den fortwährenden Soystemwechsel mit jedem neuen 
Marineminister die französische Flotte sich in starkem Rückgange befand 
und schon weit gesunken war. Frankreich war mit großer Schnelligkeit 
zu einem riesigen Kolonialreiche gelangt, und nun erhob sich die Frage 
immer gebieterischer: wie sollte man diese gewaltigen Kolonialgebiete 
mit ihren Küsten verteidigen? Ohne entsprechende Schiffemengen wür- 
den auch die kolonialen Stützpunkte nichts wert sein, sondern, wie de 
Lanessan sagte: Pferdeställen ohne Pferde gleichen. Dieser Vergrößerung 
der Aufgaben der französischen Flotte standen gegenüber ihr Rückgang, 
die wachsende deutsche Rivalität zur See und die erdrückende englische 
Übermacht. In diese hatte man sich freilich de facto vom Tage von Fa- 
schoda an endgültig gefügt. Daran änderten erregte Pressekampagnen 
und gelegentliche Parlamentereden nichts mehr, man gewöhnte sich auch 
schon bald an den Gedanken, die britische Flotte als automatisch wirkenden 
Schutz gegen die deutsche anzusehen. 
Die Bereinigten Staaten hatten nach dem siegreichen Kriege mit 
Spanien erkannt, daß ihre Siege nicht der absoluten Stärke ihrer Flotte, 
sondern nur der völligen Minderwertigkeit und Unbereitschaft des spani- 
schen Gegners zu verdanken gewesen waren. Sie erkannten außerdem, 
daß ihre transozeanische Eroberungepolitik auch, um nur das Errungene 
festzuhalten, dringend großer Machtmittel zur See bedürfe. Wie kurz 
nach der Jahrhundertwende die Mehrheit der Amerikaner über diese 
Frage dachte, zeigt eine der ersten Botschaften des neugewählten Präsi- 
denten Roosevelt an den Kongreß: 
„Das Werk des Ausbaues unserer Flotte muß ständig fortgesetzt 
werden. Kein Punkt unserer auswärtigen oder inneren Politik ist wich- 
tiger als dieser zur Wahrung der Ehre, des materiellen Wohles und vor 
allem des Friedens unseres Volkes in Zukunft. Ob wir es wünschen oder 
nicht, wir müssen fürderhin uns darüber klar werden, daß wir nicht minder 
internationale Pflichten wie internationale Rechte haben. Selbst wenn
	        
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