Der Schritt zur deutschen Hochseeflotte. 159
zeichnete. Zn dieser Tatsache lagen die Begriffe und Notwendigkeiten
der Weltwirtschaft und damit der Weltpolitik einschließlich Kolonialpolitik,
und in weiterer Folge der sich steigend vermehrenden internationalen
Reibungsflächen enthalten. ODas gilt für jede einzelne der angeführten
flottenbauenden Mächte, auch für Rußland: Hätte Rußland nicht den
Bau seiner großen sibirischen Verkehrsader mit der südlichen Abzweigung
nach Kwantung unternehmen können, so würde es seine Flotte in solcher
Stärke im fernen Osten nicht gebraucht haben. Die Flotte war für Ruß-
land ein sekundäres Mittel seiner Weltwirtschaft und Weltpolitik, weil ihm
als primäres die Landverbindung zur Verfügung stand. Da es aber galt,
die ostasiatische Stellung den anderen Seemächten, zumal Japan gegen-
über, zu erobern und zu befestigen, so war eine starke Flotte gleichwohl
unerläßlich. Den umgekehrten Weg mußte Japan, die Insel, gehen, um
durch die Seeverbindung als primäres Moment auf das Festland zu ge-
langen und sich dort auszubreiten.
Die Auffassung war und ist weit verbreitet, daß Großbritannien
durch jene Zahre der Flottenprogramme und beginnenden Flotten-
rüstungen in Erregung und Unruhe versetzt, daß im besonderen der eng-
lisch-deutsche Gegensatz und das tiefgehende Mißtrauen auf englischer
Seite hauptsächlich durch die deutschen Flottenprogramme von 1898
und 1900 verursacht worden sei. Diese Annahme wird durch keinerlei
Catsachen gestützt.
Zm Unterhause äußerte sich der Erste Lord der Admiralität, Mr.
Goschen, ausführlich über das deutsche und das französische Flotten-
programm und sagte: man dürfe sich über die großen Flottenprogramme
dieser beiden Mächte nicht aufregen, noch beunruhigen. Die Programme
seien ja zwar sehr groß, aber sie verteilten sich bei den Franzosen über
sechs, bei den Deutschen sogar über sechzehn Jahre und machten daher
einen größeren Eindruck, als der militärischen Wirklichkeit entsprechen
werde. Natürlich müsse Großbritannien mit Aufmerksamkeit die Ent-
wicklung der Dinge verfolgen und nicht nur in Europa, sondern auch
die Fortschritte der Marine der Bereinigten Staaten und der Japans,
jedoch wäre es für Großbritannien zweckmäßiger, seine Bauprogramme
von Jahr zu Zahr festzusetzen, anstatt für längere Zeit. Auch im folgen-
den Jahre noch drebten sich gewisse maritime Sorgen in Großbritannien
nur um die Frage, ob die britische Flotte einem Zusammenwirken der
russischen und der französischen im Kriege gewachsen sein werde, da ein
solcher Krieg weites örkliches Auseinanderziehen der britischen Geschwader
notwendig machen werde.
Sorge oder Feindseligkeiten binsichtlich der deutschen Flottenpläne
waren also nicht vorhanden. Man dachte, daß es ungleich leichter sei,