Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Der Schritt zur deutschen Hochseeflotte. 159 
  
zeichnete. Zn dieser Tatsache lagen die Begriffe und Notwendigkeiten 
der Weltwirtschaft und damit der Weltpolitik einschließlich Kolonialpolitik, 
und in weiterer Folge der sich steigend vermehrenden internationalen 
Reibungsflächen enthalten. ODas gilt für jede einzelne der angeführten 
flottenbauenden Mächte, auch für Rußland: Hätte Rußland nicht den 
Bau seiner großen sibirischen Verkehrsader mit der südlichen Abzweigung 
nach Kwantung unternehmen können, so würde es seine Flotte in solcher 
Stärke im fernen Osten nicht gebraucht haben. Die Flotte war für Ruß- 
land ein sekundäres Mittel seiner Weltwirtschaft und Weltpolitik, weil ihm 
als primäres die Landverbindung zur Verfügung stand. Da es aber galt, 
die ostasiatische Stellung den anderen Seemächten, zumal Japan gegen- 
über, zu erobern und zu befestigen, so war eine starke Flotte gleichwohl 
unerläßlich. Den umgekehrten Weg mußte Japan, die Insel, gehen, um 
durch die Seeverbindung als primäres Moment auf das Festland zu ge- 
langen und sich dort auszubreiten. 
Die Auffassung war und ist weit verbreitet, daß Großbritannien 
durch jene Zahre der Flottenprogramme und beginnenden Flotten- 
rüstungen in Erregung und Unruhe versetzt, daß im besonderen der eng- 
lisch-deutsche Gegensatz und das tiefgehende Mißtrauen auf englischer 
Seite hauptsächlich durch die deutschen Flottenprogramme von 1898 
und 1900 verursacht worden sei. Diese Annahme wird durch keinerlei 
Catsachen gestützt. 
Zm Unterhause äußerte sich der Erste Lord der Admiralität, Mr. 
Goschen, ausführlich über das deutsche und das französische Flotten- 
programm und sagte: man dürfe sich über die großen Flottenprogramme 
dieser beiden Mächte nicht aufregen, noch beunruhigen. Die Programme 
seien ja zwar sehr groß, aber sie verteilten sich bei den Franzosen über 
sechs, bei den Deutschen sogar über sechzehn Jahre und machten daher 
einen größeren Eindruck, als der militärischen Wirklichkeit entsprechen 
werde. Natürlich müsse Großbritannien mit Aufmerksamkeit die Ent- 
wicklung der Dinge verfolgen und nicht nur in Europa, sondern auch 
die Fortschritte der Marine der Bereinigten Staaten und der Japans, 
jedoch wäre es für Großbritannien zweckmäßiger, seine Bauprogramme 
von Jahr zu Zahr festzusetzen, anstatt für längere Zeit. Auch im folgen- 
den Jahre noch drebten sich gewisse maritime Sorgen in Großbritannien 
nur um die Frage, ob die britische Flotte einem Zusammenwirken der 
russischen und der französischen im Kriege gewachsen sein werde, da ein 
solcher Krieg weites örkliches Auseinanderziehen der britischen Geschwader 
notwendig machen werde. 
Sorge oder Feindseligkeiten binsichtlich der deutschen Flottenpläne 
waren also nicht vorhanden. Man dachte, daß es ungleich leichter sei,
	        
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