Boxerkrieg und Vangtse-Vertrag. 165
nach Rußland hin zu erkennen gegeben. Von verschiedenen Seiten wäre
aber der Wunsch hervorgetreten, daß ein deutscher Offizier das Ober-
kommando über die internationalen Truppen in der Provinz Cschili über-
nehmen sollte.
Aus der Mission des Grafen Waldersee ist seinerzeit sehr viel mehr
gemacht worden, als ihrer Bedeutung entsprach. Die Ubertreibungen und
Feiern schoben die Angelegenheit in ein zunächst peinliches Licht. Heute
wird man immerhin sagen müssen, daß diese Erledigung der Oberkom-
mandofrage aller Wahrscheinlichkeit nach günstiger und praktischer ge-
wesen ist, als irgendeine andere es gewesen sein würde. Die Frage des
Oberkommandierenden ist zweifelsohne von Anfang an zwischen den
Mächten nicht als eine rein militärische, sondern vorwiegend als eine
politische behandelt worden. Die Schwierigkeit der Wahl bieß: Ruß-
land-England. Keine dieser beiden Mächte würde ihre Truppen einem
englischen bzw. russischen Oberbefehlshaber unterstellt haben. Beiden
war ein deutscher Oberbefehlshaber angenehm, weil die deutsche Politik
in Ostasien in jenem Augenblicke noch ebensowohl den Wünschen Ruß-
lands wie denjenigen Großbritanniens voll entsprach. Daß Deutsch-
land ebensowenig wie England seine Truppen einem französischen Be-
fehlshaber unterstellen würde, lag ohne weiteres auf der Hand, und ab-
gesehen von der Schwierigkeit der Autoritätsfrage hatte die Ubertragung
des Oberbefehls an einen General etwa Ztaliens oder Österreichs noch
den weiteren Haken: ob eine geeignete Persönlichkeit vorhanden war. Die
des Grafen Waldersee wurde allgemein als solche anerkannt, dazu kam
die Tatsache, daß dem Deutschen Reiche, als durch den Mord seines Ge-
sandten am schwersten beleidigt und provoziert, militärisch gewisser-
maßen die Vorhand zugebilligt wurde. Diese Erwägung weäre freilich
nicht maßgebend gewesen, wenn sie im Widerspruche zu den übrigen er-
wähnten Gesichtspunkten gestanden hätte. Alles in allem handelte es
sich also um recht nüchterne Erwägungen. Das bißchen Prestige, das
eine Zeitlang in Oeutschland blendete, kam weder als tatsächlicher Vor-
teil in Betracht, noch verschleierte es, wie damals vielfach angenommen
wurde, ein deutsches Nachlaufen hinter anderen Mächten. Diese, be-
sonders Rußland und England, gaben ihre freudige Zustimmung auch
nicht nur, um einem persönlichen Wunsche des Oeutschen Kaisers eine
Sefälligkeit zu erweisen, die zu nichts verpflichtete, sondern weil ihnen
die Wahl praktisch erschien. In Deutschland ist die Mission des Mar-
schalls nur durch die Ubertreibungen in Mißkredit gekommen; sie er-
weckten Erwartungen, die nicht erfüllt werden konnten. Das einzige Er-
wähnenswerte während seiner Befehlsführung war die übrigens zu er-
wartende Erscheinung, daß in Frankreich die Unterordnung unter einen