Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Entscheidungen und Scheidungen. 177 
  
zwischen den beiden Nationen nicht vorhanden war, weder für die Stim- 
mung, noch für das Verständnis. DOie politische Bedeutung dieser Tat- 
sache war schwer zu überschätzen. 
Die Erbitterung und das Mißtrauen gegen den Fürsten Bülow 
wuchsen im englischen Volke infolge seiner Rede noch mehr, und die Ab- 
neigung, welche man ihm in den Kreisen der britischen Regierung ent- 
gegenbrachte, dürfte sich verschärft haben. 
Verschiedentlich ist behauptet worden, daß im Herbst und Winter 
des Zahres 1901 zwischen Großbritannien und Oeutschland noch Ver- 
handlungen über eine Annäherung stattgefunden hätten, Bündnisver- 
handlungen zwischen den beiden Mächten gepflogen worden seien. Die 
Verhandlungen hätten sich an einer Meinungsverschiedenbeit über Er- 
höhung oder BZichterhöhung der chinesischen Sölle zerschlagen. Wenn 
sich ein strikter Gegenbeweis auch nicht führen läßt, so geht aus der ganzen 
Grundrichtung der amtlichen deutschen Politik während der Jahre 1898 
bis 1902 annähernd unwiderleglich hervor, daß es dem Fürsten Bülow 
überaus fern lag, sich in bindende Beziehungen zum Britischen Reiche 
zu begeben, welche noch dazu, wie eben gesagt, nicht die erforderlichen 
Dauergarantien bieten konnten. Der Wortlaut und die Wendungen 
des Bangtseabkommens bilden einen sprechenden Beweis dafür, wie sehr 
man deutscherseits auf der Hut war, und wie sorgfältig man vermied, 
die deutsche Politik für irgendwelche Zukunftslagen zu binden. Fürst 
Bülow wollte unter keinen Umständen von der britischen Politik gegen 
Rußland ausgenutzt werden, und er betonte, wie wir gesehen haben, 
dieses sein Programm des „einerseits — anderseits“ so oft und nach- 
drücklich, daß man nicht zweifeln kann, er habe eine englisch-russische 
Annäherung überhaupt für auzsgeschlossen gehalten. Diese — folgen- 
schwere und unrichtige — Annahme bildet die tiefere Grundlage der 
damaligen Bülowschen Politik. In Frankreich hörte man zu jener Zeit 
bereits die Ansicht aussprechen, daß es für Frankreich leichter sein werde, 
Rußland und England einander näher zu bringen, als es Oeutschland 
falle, Osterreich-Ungarn und Ztalien, seine beiden Bundesgenossen, in 
versöhnlicher Stimmung zusammenzuhalten. 
Hätte Rußland vorderhand auf die Verwirklichung seines Man- 
dschureiabkommens mit China verzichtet, so war keiner der Mächte zweifel- 
haft, daß die russische Politik nur pausiere, um bei erster sich bietender 
Gelegenheit wieder vorzurücken, sei es militärisch, sei es diplomatisch. 
Am meisten fühlten sich beunruhigt und bedroht, freilich aus sehr ver- 
schiedenen Ursachen, Großbritannien und Japan. 
Vom Ausgange des Japanisch-Chinesischen Krieges an hatten Groß- 
britannien und Japan stets zusammengestanden, zunächst gegen die drei 
Graf Reventlow, ODeutschlands auswärtige Politle. 12
	        
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