Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

XX Zur Einführung. 
  
mit Leichtigkeit erwehren, wenn auch diese nicht vernichten können. Oes- 
wegen sah der deutsche Staatssekretär dem Verlaufe des Kampfes auch 
mit Ruhe entgegen“ usw. Später beißt es in der neueingefügten Charak- 
teristik v. Kiderlen-Waechters: „Während des Balkankrieges, den er, wie 
gesagt, nicht hatte kommen seben, und hinsichtlich dessen er die Kraft der 
Türkei und ihrer Gegner vollkommen falsch einschätzte, war sein Haupt- 
bestreben, die Gelegenheit zu benutzen, um die Beziehungen zu Groß- 
britannien zu bessern.“ 
Wegen dieses scheinbaren Widerspruches in den beiden Auflagen 
wendete sich Herr Professor Eduard Meyer an mich, und ich antwortete 
ihm wie folgt: 
„Wenige Tage vor dem Ausbruch des Balkankrieges sprach ich mit 
v. Kiderlen-Waechter über die Spannung. Er sagte, man könne in solchen 
Fällen bis zum letzten Augenblick nicht wissen, ob der Friede erbalten bleibe 
oder nicht. Bertreter der deutschen Finanz habe er aber auf alle Fälle ge- 
warnt und halte diese Warnung für um so unverfänglicher und notwendiger, 
als die Kurse von so schwindelhaf"er Höhe seien, daß es auch bei der Er- 
haltung des Friedens einen schweren Rückschlag auf dem Geldmarkte 
geben müsse. v. Kiderlen-Waechter rechnete ebenfalls mit der Möglichkeit 
einer noch weitergreifenden Balkankrisis, ohne daß damit der Krieg not- 
wendig verbunden zu sein gebraucht hätte. 
„Im übrigen stand v. Kiderlen-Waechter damals auf dem mir öfter 
zum Ausdruck gebrachten Standpunkt: Die Balkanstaaten und die Türkei 
solle man ruhig aufeinander losschlagen lassen, solange sie Geld, Kraft 
und Lust hätten. Es würde ihnen nichts belfen, denn die Großmächte 
seien sich darin einig, daß keine der Balkanmächte einschließlich der Türkei 
Gebietsgewinn aus dem Kriege erzielen dürfe. Er war im übrigen vom 
Siege der Türkei überzeugt und hatte von den Balkanstaaten die früher 
allgemein geltende Auffassung, daß ihre Heere und ihre Militärorgani- 
sation überhaupt zum Führen eines richtigen Krieges nicht imstande seien. 
und der Konflikt einen Charakter operettenhaften Brigantentums haben 
würde. v. Kiderlen-Waechter betonte wiederholt, daß die Großmächte 
darin einig seien, den Status quo auf der Balkanhalbinsel gemeinsam zu 
erhalten. 
„Auf der Grundlage dieser Ansichtsäußerungen des Staatssekretärs 
habe ich in der ersten bzw. zweiten Auflage die Lage geschildert. Ich er- 
innere insbesondere an den, ich glaube in der „Norddeutschen Allgemeinen 
Zeitung“ gebrauchten Ausdruck v. Kiderlen-Waechters kurz nach dem Aus- 
bruch des Krieges; die Großmächte würden gemeinsam ihr Bestes tun, 
um den Brand, wenn nicht zu löschen, so jedenfalls auf seinen Herd zu 
beschränken und nachber die Brandstätte zu säubern.
	        
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