Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

192 3. Abschnstt. Vor und nach Algeciras. 1903—1908. 
  
ob jener Plan — der durch sein öffentliches Bekanntwerden vereitelt 
wurde — sehr geschickt angelegt gewesen ist, aber sein Vorhandensein 
war bezeichnend für die Betriebsamkeit, mit der Delcassé die dreibund- 
feindlichen Bestrebungen in Österreich-Ungarn, besonders in Ungarn, im 
französischen Interesse auszunutzen versuchte. 
Gegen den Dreibund wurde von seinen Gegnern mit Hochdruck ge- 
arbeitet. Die Erneuerung des Vertrages stand für das Jahr 1902 bevor, 
und in Frankreich glaubte man den Augenblick gekommen, ihn sprengen 
zu können. Man setzte besondere Hoffnungen auf die Folgen des Mi- 
nisterwechsels in Ztalien, zumal der neue Minister des Auswärtigen, Herr 
Prinetti, Anfang der neunziger Zahre sich als Gegner der Oreibund- 
politik erklärt hatte. Es war bezeichnend, daß man kurz nach dem italie- 
nischen Ministerwechsel in dem halbamtlichen deutschen Organe, der 
„Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“, für nötig bielt, gegen die Le- 
genden Front zu machen, welche über den Inhalt des Oreibundes von 
französischer Seite in Umlauf gebracht wurden. Das genannte Blatt 
stellte fest: Die Berbündeten Italiens hätten niemals Italien Bedingungen 
oder Wünsche wegen Verwendung der italienischen Armee auferlegt; 
der Dreibundvertrag lasse allen drei Mächten volle Freiheit in der Fest- 
setzung ihrer Streitkräfte, sie könnten diese auch vermindern, wenn sie 
wollten; die Festsetzung der Streitkräfte sei eine innere Angelegenheit 
der betreffenden Staaten. Es sei also eine Legende, wenn behauptet 
werde, daß Italien Finanzschwierigkeiten aus Dreibundverpflichtungen 
erwachsen seien. Solche Berpflichtungen gäbe es eben nicht. — Das 
waren gerade diejenigen Argumente, mit denen die italienischen und fran- 
zösischen Dreibundfeinde arbeiteten: Italien werde durch die Oreibund- 
verpflichtungen finanziell ruiniert, und der Dreibundvertrag verpflichte 
es, gegen das befreundete Frankreich zu marschieren. Ein italienisch- 
französisches Argument war es auch, welches der rabiat irredentistisch 
gesinnte italienische Deputierte Herr Barzilai im Sommer 1901 geltend 
machte: Der Oreibund habe ZItalien das „SEleichgewicht im Mittellän- 
dischen und Adriatischen Meere“ nicht verbürgen können, er habe auch 
nicht verhindert, daß Rußland und ÖOsterreich sich die Balkanhalbinsel 
„geteilt hätten“ und auf Verdrängung Ztaliens aus dem Oriente ar- 
beiteten (das Mürzsteger Abkommen 1903). Damit wurde eine neue 
Seite der italienischen Politik in prägnanter Weise hervorgehoben: das 
„Gleichgewicht im Adriatischen Meere“ und Ansprüche Ztaliens auf die 
albanische Küste. 
An anderer Stelle wurde ausgeführt, wie vor dem Berliner Kon- 
gresse Bismarck und Lord Derby Italien Albanien anboten, und wie 
durch eine fehlerhafte Politik die derzeitigen leitenden Staatsmänner
	        
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