Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die „glücklich vollendete Annäherung“. 193 
  
Italiens sowohl Albanien wie während des Berliner Kongresses auch 
Tunis verscherzten. Daß der Blick der Italiener sich später dann wieder 
auf Albanien richtete, hatte Gründe verschiedener Art: 
Oas Verhältnis zwischen Italien und Österreich-Ungarn war trotz 
aller deutschen Bestrebungen zu keiner Zeit gut gewesen. Auf beiden 
Seiten feblte völlig das Vertrauen. Öie italienische Frredenta, welche 
amtlich in Rom stets mißbilligt wurde, die zu ersticken man aber niemals 
auch nur versuchte, im Gedanken, man werde die Frredenta einmal gut 
brauchen können, — lenkte die Augen der Ztaliener stets auf die geo- 
graphischen Verhältnisse und die Gebiete, welche in einem italienisch- 
österreichisch-ungarischen Kriege besonders in Betracht kommen würden. 
Auch in diesem Sinne war das italienische Argument an sich richtig: 
Osterreich-Ungarn würde im Besitze der albanischen Küsten außerordent- 
liche Borteile Ztalien gegenüber besitzen. Dieses Argument traf aber 
nicht den Sinn der italienischen Sorgen und Bestrebungen, denn diese 
waren, wie die Vorgeschichte des großen Krieges einwandfrei bewiesen 
hat, aggressiver Natur. Das östliche Adriaufer und damit das Adriatische 
Meer selbst zu beherrschen, Osterreich-Ungarn damit als Seemacht über- 
haupt auszuschalten, ist stets das letzte und höchste Ziel der italienischen 
Politik gewesen. Man sprach es nicht aus, man stellte es zurück, aber es 
war immer da. Am leichtesten bei einer Gelegenheit erreichbar erschien 
Albanien, im besonderen Südalbanien mit dem Hafen Balona. Das 
Interesse Ztaliens am Lande Albanien selbst ist ebenfalls ein starkes und 
tatsächlich immer gewesen, aber im Vergleiche zum Ziele der Adria- 
beherrschung war es sekundärer Natur. 
Oie italienische Orientpolitik hat im übrigen viel geschwankt. Aur 
Crispi hatte hier große Konzeptionen, die er auch eine Zeitlang mit 
einem gewissen Erfolge zu verwirklichen bestrebt war. Crispi wünschte 
in einem Briefe, der noch zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurde, einen 
Balkanbund mit Konstantinopel als Hauptstadt eben dieses Bundes. Der 
Sultan sollte nach Asien hinübergeschoben werden, die türkische Herr- 
schaft aus Europa verschwinden. Auf diese Weise dachte er vielleicht 
weniger an eine albanische Frage an sich als: die Adriafrage für Italien 
ein für allemal aus der Welt zu schaffen. Wie sich die Zeiten geändert 
hatten, ging aus einer Rede des italienischen Deputierten Imbriani her- 
vor, der im Jahre 1896 dem Dreibunde vorwarf, er hindere Italien daran, 
seine legitimen Aspirationen auf Albanien geltend zu machen. Im selben 
Jahre fand die Hochzeit des damaligen Thronfolgers, jetzigen Königs von 
Italien, mit einer Tochter des Fürsten von Montenegro statt. Welche 
Gründe und Motive auch sonst für diese Heirat maßgebend gewesen 
sind, — vom italienischen Volke, und zwar bis in die höchsten politischen 
Graf Revent low, Deutschlande auswärtige Politik. 13
	        
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