196 Z. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903 — 1908.
türlich nicht, welche damals überwunden werden mußten, aber es wird
wohl richtig sein, wenn der österreichische Historiker Friedjung im Herbst
1915 schrieb: Italien habe vor der Oreibunderneuerung wesentliche
Abänderungen verlangt, Bülow und Goluchowski hätten aber kategorisch
erklärt: entweder unveränderte Erneuerung oder überhaupt keine Er-
neuerung. Darauf habe Italien denn die unveränderte Erneuerung vor-
gezogen. In italienischen Blättern freilich las man eine andere Sprache,
und die halbamtliche „Cribuna“ schrieb drei Monate vor der Erneuerung
des Vertrages, unmittelbar nach der Zusammenkunft Bülow-Prinetti:
der Reichskanzler habe sich „geneigter denn je gezeigt, unseren Wün-
schen nicht entgegen zu sein“ und das Bündnis fortzusetzen, das für so
viele Jahre für ganz Europa den Frieden garantiert habe. „Die direkten
Ziele unserer Politik sind Aufrechterhaltung des Status quo im Mittel-
meer und am Balkan, die Sicherheit, daß keine andere Macht Tripolis
besetzen kann außer Italien, und daß sich keine Beränderung jenseits der
Adria vollziehen kann ohne die Zustimmung Btaliens.“ — Diese Be-
merkung bezog sich auf Albanien und Mazedonien und auf ein Sonder-
abkommen mit Österreich-Ungarn. Fürst Bülow dementierte dagegen im
folgenden Jahre die Andeutung der „Tribuna“, als ob die Erneuerung
des Dreibundes mit wirtschaftlichen Fragen verknüpft und „mit irgend-
welchen zollpolitischen Zugeständnissen erkauft worden sei“. — Das war
von einem italienischen Abgeordneten behauptet worden.
Nach der Erneuerung des Oreibundes fanden in der italienischen
Kammer wiederum lange Debatten über den ODreibund statt, und der
neue Ministerpräsident di Rudini erklärte: Dank dem Oreibunde könne
Ztalien darauf rechnen, daß selbst außerhalb Albaniens sich keine Kombi-
nation ohne sein Wissen und zu seinem Nachteile in den Balkanstaaten
verwirklichen könne. Dagegen tat Rudini den vieldeutigen Ausspruch:
man könne hinsichtlich Ftaliens zugeben, daß nach dem Einvernehmen
mit Frankreich hinsichtlich des Mittelländischen Meeres diejenige Be-
sorgnis an Bedeutung verloren habe, welche seinerzeit den Eintritt Ita-
liens in den Dreibund bestimmte. — Oieser Satz zeigte die Größe des
politischen Umschwunges während der letzten zehn Zahre. Damals war
es die Furcht vor Frankreich und waren es die den französischen In-
teressen entgegengesetzten afrikanischen Aspirationen Ztaliens, welche
das italienische Bolk zum Dreibunde, und zwar mit aller A#lufrichtigkeit,
schwören ließen. Zur See im Mittelländischen Meere und an dessen Se-
staden verbürgte die Flotte des dreibundfreundlichen Großbritanniens
den Status quo gegen alle französischen Störungsversuche und Gefahren.
1902 waren de facto die englisch-französischen Zwistigkeiten bereits
beigelegt, nur die feierliche Besiegelung fehlte noch. Frankreich und