Oie „glücklich vollendete Annäherung“. 197
Ztalien lebten ungefähr im Stande der Entente Cordiale miteinander,
Großbritannien war nicht mehr dreibundfreundlich, sondern es hatte
getan, was es konnte, um die Erneuerung des Bündnisvertrages durch
Italien zu hintertreiben. Gewiß, dieses Hauptziel war nicht erreicht
worden. Ztalien hatte, vor die schroffe Alternative unveränderter Er-
neuerung oder Aufgabe des Vertrages gestellt, die Erneuerung vor-
gezogen. Die italienischen Staatsmänner konnten sich, so wenig Sym-
pathien sie zum Teil dem Oreibunde entgegenbrachten, doch nicht ver-
hehlen, daß die Aufgabe eine Torheit sein würde, und zwar einmal
wegen der tatsächlichen wirtschaftlichen Borteile, die sich zwar nicht aus
dem Oreibundvertrage selbst ergaben, wohl aber mittelbar aus den Be-
ziehungen zu den beiden Mächten, mit denen der Vertrag bestand. Des
ferneren waren die italienischen Staatsmänner klug genug, um zu wür-
digen, daß die internationale Stellung Italiens durch die Aufgabe des
Dreibundes enorm verlieren, daß es in unmittelbarer Folge in die Va-
sallenschaft Frankreichs und Englands geraten würde. Im I1. Abschnitt
sind die grundsätzlichen Dreibundbeziehungen Italiens und ihre Ent-
wicklung ausführlich erörtert worden.
Man kann nicht bestreiten, daß die Erneuerung des Bündnisver-
trages im Sommer 1902 einen Erfolg der deutschen Politik bildete. Auf
der anderen Seite aber war ebensowenig zu bezweifeln, daß der Drei-
bund nicht mehr dasselbe wie früher war. Wäre um jene Zeit ein Krieg
ausgebrochen, so würde man das wahrscheinlich in wenig vorteilhafter
Weise erfahren haben. Auch bei größter Lopyalität, die man damals ohne
weiteres beim Könige von Ztalien voraussetzen mußte, wäre die italie-
nische Regierung aller Wahrscheinlichkeit nach weder willens noch fäbig
gewesen, der franzosenfreundlichen Volksstimmung genügend Widerstand
zu leisten, um die im Kriege Italien obliegenden Bündnisverpflichtungen
dem Worte und dem Geiste nach auch nur annähernd zu erfüllen. Ge-
wiß hatte Fürst Bülow formal recht, wenn er sagte: italienisch-franzö-
sische Abmachungen binsichtlich der Mittelmeerverhältnisse berührten die
Verpflichtungen Italiens zum Oreibunde nicht, und ebensowenig die
italienisch-französische Freundschaft, denn der Oreibund sei eine Ver-
sicherungsgesellschaft, keine Erwerbsgesellschaft, er wolle sich nur ver-
teidigen, aber niemanden angreifen. Die Tatsache blieb aber bestehen,
daß der Bundeegenosse des Deutschen Reiches nicht nur eng befreundet
mit derjenigen Macht war, deren Angriff das Bündnis galt, sondern
eben mit dieser Macht ein Abkommen geschlossen hatte, welches Italien
ihr gegenüber zu Diensten verpflichtete, zu Diensten für Frankreichs
marokkanische Politik. Ein verpflichtendes Abkommen solcher Art, und
dabei die verbürgte Hoffnung, derart selbst einst einen großen Vorteil