König Eduards Anfänge — Reibungen. 203
jener Zeit entsprang teils ungeklärten militärischen Anschauungen, teils
hatte sie ihren triftigen Grund in den schmalen Mitteln, die der Marine-
verwaltung zur Ourchführung des Flottengesetzes zur Verfügung ge-
stellt worden waren, teils endlich in den geringen Abmessungen des
Nordostseekanals sowie mancher Flußmündungen und Fahrwasser, deren
Erweiterung mit gewaltigen Kosten verbunden sein mußte. Um sie und
damit ihre Tragfähigkeit oder Wasserverdrängung möglichst nutzbringend
für die Gefechtskraft auszunutzen, mußte man sich in der Bemessung
der Kohlenvorräte beschränken. So naheliegend und einleuchtend diese
Ursachen waren, so ließ sich die politische und militärische Presse in Eng-
land nicht von der bewußt unwahren Behauptung abbringen: die Ge-
ringfügigkeit der Kohlenvorräte der deutschen Schiffe und ihre verhältnis-
mäßig große Geschützzahl sei nur daraus zu erklären, daß die deutsche
Flotte lediglich zum Zwecke gebaut werde, den kurzen Weg von den
deutschen nach den englischen Küsten zurückzulegen. Dafür würde auch
der geringe Kohlenvorrat reichen, während zum Uberfall der englischen
Flotte natürlich eine möglichst große Artilleriekraft notwendig sei. Dieses
Argument ist den Engländern damals so in Fleisch und Blut überge-
gangen, daß man seiner Anwendung noch um das Jahr 1910 begegnen
konnte, als die Kohlenvorräte vieler deutscher Schiffe die der gleichaltrigen
englischen an Größe übertrafen.
Im Frühsommer 1902 wurde der Burenkrieg durch den Friedens-
vertrag von Bereeniging beendigt, einen Frieden, für dessen schleuniges
Zustandekommen König Eduard VII. von seinem Regierungsantritte an
aufs eifrigste hingearbeitet hatte. Bei aller Genugtuung über den end-
lich eingetretenen vollen Erfolg, bei allem Stolze darauf, daß zähe und
unverzagte Ausdauer und Opfermut doch endlich zum Erfolge geführt
hatten, war ein Gefühl von Unbehagen und Unsicherheit in der britischen
Nation lebendig. Man hatte während des Krieges eigentliche Sympa-
thien bei keiner anderen Nation gefunden. Daß die Regierungen sich
neutral verhalten hatten, schob man in England auf ihre Uneinigkeit
und auf das Ubergewicht der britischen Flotte, welche tatsächlich ununter-
brochen, auch während der unglücklichsten Augenblicke des Burenkrieges,
die See beherrscht hatte. Chamberlain sagte mit Recht nach dem Friedens-
schlusse: „Die Lehre des Krieges ist die Lehre von unserer Stärke, der
Welt kam diese Lehre wie eine Offenbarung.“ Chamberlain warb nun
nicht mehr für Bündnisse und Ententen mit dem Deutschen Reiche oder
mit den Vereinigten Staaten, sondern nahm mit aller Energie und
Werbekraft die Agitation für den imperialistischen Zusammenschluß des
Mutterlandes Großbritannien mit seinen Kolonien auf. Die Kolonien
hätten das opferfreudige Gefühl der Zugehörigkeit zum Mutterlande