Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

König Eduards Anfänge — Reibungen. 203 
  
jener Zeit entsprang teils ungeklärten militärischen Anschauungen, teils 
hatte sie ihren triftigen Grund in den schmalen Mitteln, die der Marine- 
verwaltung zur Ourchführung des Flottengesetzes zur Verfügung ge- 
stellt worden waren, teils endlich in den geringen Abmessungen des 
Nordostseekanals sowie mancher Flußmündungen und Fahrwasser, deren 
Erweiterung mit gewaltigen Kosten verbunden sein mußte. Um sie und 
damit ihre Tragfähigkeit oder Wasserverdrängung möglichst nutzbringend 
für die Gefechtskraft auszunutzen, mußte man sich in der Bemessung 
der Kohlenvorräte beschränken. So naheliegend und einleuchtend diese 
Ursachen waren, so ließ sich die politische und militärische Presse in Eng- 
land nicht von der bewußt unwahren Behauptung abbringen: die Ge- 
ringfügigkeit der Kohlenvorräte der deutschen Schiffe und ihre verhältnis- 
mäßig große Geschützzahl sei nur daraus zu erklären, daß die deutsche 
Flotte lediglich zum Zwecke gebaut werde, den kurzen Weg von den 
deutschen nach den englischen Küsten zurückzulegen. Dafür würde auch 
der geringe Kohlenvorrat reichen, während zum Uberfall der englischen 
Flotte natürlich eine möglichst große Artilleriekraft notwendig sei. Dieses 
Argument ist den Engländern damals so in Fleisch und Blut überge- 
gangen, daß man seiner Anwendung noch um das Jahr 1910 begegnen 
konnte, als die Kohlenvorräte vieler deutscher Schiffe die der gleichaltrigen 
englischen an Größe übertrafen. 
Im Frühsommer 1902 wurde der Burenkrieg durch den Friedens- 
vertrag von Bereeniging beendigt, einen Frieden, für dessen schleuniges 
Zustandekommen König Eduard VII. von seinem Regierungsantritte an 
aufs eifrigste hingearbeitet hatte. Bei aller Genugtuung über den end- 
lich eingetretenen vollen Erfolg, bei allem Stolze darauf, daß zähe und 
unverzagte Ausdauer und Opfermut doch endlich zum Erfolge geführt 
hatten, war ein Gefühl von Unbehagen und Unsicherheit in der britischen 
Nation lebendig. Man hatte während des Krieges eigentliche Sympa- 
thien bei keiner anderen Nation gefunden. Daß die Regierungen sich 
neutral verhalten hatten, schob man in England auf ihre Uneinigkeit 
und auf das Ubergewicht der britischen Flotte, welche tatsächlich ununter- 
brochen, auch während der unglücklichsten Augenblicke des Burenkrieges, 
die See beherrscht hatte. Chamberlain sagte mit Recht nach dem Friedens- 
schlusse: „Die Lehre des Krieges ist die Lehre von unserer Stärke, der 
Welt kam diese Lehre wie eine Offenbarung.“ Chamberlain warb nun 
nicht mehr für Bündnisse und Ententen mit dem Deutschen Reiche oder 
mit den Vereinigten Staaten, sondern nahm mit aller Energie und 
Werbekraft die Agitation für den imperialistischen Zusammenschluß des 
Mutterlandes Großbritannien mit seinen Kolonien auf. Die Kolonien 
hätten das opferfreudige Gefühl der Zugehörigkeit zum Mutterlande
	        
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