König Ebuards Anfänge — Reibungen. 205
Deutschland gehabt. — Man sah also wiederum die Wirkung, welche
die Ausschaltung der Mandschurei aus dem Vangtsevertrage seitens der
deutschen Politik gehabt hatte. Von besonderem Interesse ist aber, daß
Sir Edward Grey sein Ziel einer englisch-russischen Annäherung weniger
als ein halbes Jahrzehnt nachher als selbstleitender verantwortlicher
Staatsmann verwirklichen konnte. Eben wie Oelcassé im Augenblicke,
wo die englandfeindlichen Wogen in Frankreich am höchsten gingen,
mit dem Programme sein Amt antrat, „la bonne entente“ mit Groß-
britannien herzustellen, so ließ Sir Edward Grey sich durch alle damals
vorhandenen Znteressengegensätze, Berstimmungen und Spannungen
zwischen Großbritannien und dem Russischen Reiche im fernen Osten,
in Mittelasien und im nahen Orient nicht beirren.
Regierungspartei und Oppositionspartei waren sich in den Jahren
1902 und 1903 darüber einig, daß die Periode der politischen Annähe-
rungsversuche an das Deutsche Reich endgültig vorbei sei. Es war derselbe
Sommer, als König Eduard und Präsident Loubet jene bedeutungsvollen
Besuche austauschten, und König Eduard die Depesche an den Präsidenten
absandte: er hoffe, daß die Annäherung zwischen den beiden Ländern
von Dauer sein werde. Die auffallende Tatsache, daß die Parlaments-
verhandlungen jenes Jahres die britisch-französische Annäherung so gut
wie gar nicht erörterten, obgleich die Bedeutung jener beiden Reisen
weltkundig war und allgemein besprochen wurde, lieferte einen sprechen-
den Beweis für die politische Reife der britischen Staatsmänner und
Parlamente, welche die Anfänge der Annäherung nicht durch unzeitige
Besprechungen gefährden, noch sie ohne Not an die große Glocke der
internationalen Offentlichkeit hängen wollten.
In die durch Wirtschaftseifersucht auf Deutschland ohnehin erregte
und besorgte Stimmung und in die noch aus dem Burenkriege stammende
Empfindlichkeit gegen Deutschland fiel der Ausbruch des deutsch-kana-
dischen Tarifstreites. Es handelte sich dabei um das Folgende:
Im Sommer 1898 war der Handelsvertrag, der seit den sechziger
Zahren zwischen dem Deutschen und dem Britischen Reiche bestanden
hatte, außer Kraft gesetzt worden, und zwar hatte die britische Regierung
ihn gekündigt. Zener Vertrag beruhte u. a. auch auf der gegenseitigen
Meistbegünstigung. Deutschland besaß die Meistbegünstigung in den
britischen Kolonien, auch gegenüber dem Mutterlande. Nach Außer-
krafttreten des Handelsvertrages fiel mithin auch für Großbritannien
einschließlich seiner Kolonien jeder Rechtsanspruch auf solche Zoller-
mäßigungen fort, welche Deutschland in seinen Tarifen anderen Staaten
gewährte. Trotzdem, aus besonderem Entgegenkommen, ließ die deutsche
Regierung sich herbei, durch ad hoc beschlossene gesetzliche Maßnahmen