Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

206 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903—1908. 
  
Großbritannien und seinen Kolonien — außer Kanada — die niedrigeren 
Zollsätze des deutschen Konventionaltarifes zu gewähren. Nach den da- 
maligen Äußerungen der deutschen Regierung war der Grund lediglich: 
den wirtschaftlichen Zwischenzustand nach dem Erlöschen des Handels- 
vertrages Großbritannien gegenüber freundschaftlich zu gestalten. Man 
ließ also einfach die Beziehungen so weiter bestehen, wie sie vor dem 
Erlöschen des Handelsvertrages bestanden hatten, in der selbstverständ- 
lichen Boraussetzung, daß auf der anderen Seite das gleiche Verfahren 
praktisch zur Anwendung gelange. Kanada allein setzte nach Ablauf des 
Handelsvertrages Vorzugszölle für das Mutterland Großbritannien fest, 
außerdem schloß es Deutschland von Vergünstigungen aus, die einigen 
französischen Einfuhrartikeln gewährt worden waren. Die deutsche Re- 
gierung traf daraufhin die selbstverständliche Bestimmung, daß jene 
Bevorzugungen, welche sie binsichtlich der Tarife den großbritannischen 
Inseln und den übrigen britischen Kolonien gewährte, Kanada nicht 
zuteil werden sollten, und brachte für den Handel mit Kanada den allge- 
meinen Zolltarif (Generaltarif) in Anwendung, der ohne weiteres für 
alle Länder galt, mit denen besondere Vereinbarungen nicht vorlagen. 
Dieser einfache Vorgang erregte in Großbritannien eine ungeheuere 
Erbitterung. Besonders Chamberlain benutzte die Gelegenheit für seine 
imperialistische Agitatiomn und sagte, Kolonien und Mutterland bildeten 
ein Ganzes, er sei genötigt, festzustellen, daß Deutschland das einzige 
Land sei, welches in feindseligem Sinne von den Vorzugsbestimmungen 
Kanadas dem Mutterlande gegenüber Notiz genommen habe. „Deutsch- 
land allein hat gegen Kanada Strafmaßnahmen in der Höhe eines sehr 
beträchtlichen Zuschlagszolles verfügt.“ Dies war, wie eben gezeigt 
worden ist, eine Unwahrheit, denn auf Kanada war nur der General- 
tarif zur Anwendung gekommen. — Kanada, so sagte Chamberlain, 
solle von Deutschland bestraft werden, und deshalb sei es an England, 
durch wirtschaftliche Repressalien Bergeltung für Kanada an Oeutschland 
zu üben. Ebenso äußerten sich andere Minister, und Lord Lansdowne 
erklärte, die deutsche Regierung habe der britischen zu verstehen gegeben, 
daß sie ihr die Meistbegünstigung verweigern würde, wenn andere bri- 
tische Kolonien das Beispiel Kanadas der Vorzugszölle an das Mutter- 
land nachmachten. Deutschland habe ja sicher das Recht dazu, aber man 
müsse immerbin auf Vergeltungemöglichkeiten sinnen. Kurz, man faßte 
die deutsche Berteidigungsmaßnahme ab irato auf. Der britische Handel 
kam in Betracht, das war es wohl in erster Linie. Deutschland, das man 
seit dreiviertel Jahrzehnt als den gefährlichsten, immer gefährlicher 
werdenden Konkurrenten ansah, war im Begriff, einen Schlag gegen 
den britischen Handel zu führen. Und da kam noch ein anderes ver-
	        
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