Venezuela — Oie Vereinigten Staaten. 213
Flottenaktion an der venezolanischen Küste wieder ungeheuren Lärm
jenseita des Ozeans verursachen würde. Zumal stand außer Zweifel,
daß die britische Presse alles tun würde, um gerade bei einer solchen Ge-
legenheit das vielleicht eben leicht eingeschlummerte Mißtrauen der Be-
völkerung der Vereinigten Staaten gegen Deutschland wieder zu wecken
und zu schüren.
Unter diesen Gesichtspunkten dürfte deutscherseits damals ein Zu-
sammengehen mit England als wünschenswert erschienen sein. Die amt-
liche britische Auffassung war eine rein geschäftliche. Die Gemeinsam-
keit der Aktion verpflichtete die britische Regierung zu nichts, vergrößerte
aber das Gewicht der britischen Ansprüche, während eine Weigerung,
zusammen mit Oeutschland vorzugeben, Großbritannien in die Hinter-
hand gebracht hätte, und das wäre in diesem Falle wohl nachteilig ge-
wesen.
Zm Gegensatze zu dieser nüchternen Auffassung der Regierung tobte
die deutschfeindliche britische Presse darüber, daß man sich mit Deutsch-
land zur „BVergewaltigung“ eines amerikanischen Staates herbeiließe.
Deutschland habe ganz andere Absichten dabei, die Schuldenbeitreibung
in Benezuela sei nur ein Vorwand. Ziel der Bülowschen Politik wäre
vor allem, England und die Bereinigten Staaten miteinander zu ver-
feinden, außerdem eine überseeische Eroberungspolitik in Mittel- oder
Südamerika, sei es auf dem Festlande, sei es auf den vorgelagerten Inseln,
ins Werk zu setzen. Die amerikanische Presse nahm diese Tonart sofort,
nur noch mit gesteigerter Heftigkeit, auf. Ihr stand ohne weiteres fest,
daß das Oeutsche Reich in Benezuela oder in Columbien oder aber in
Brasilien Fuß fassen wolle. Besonders viel Anklang fand aber die ur-
sprünglich jedenfalls aus London stammende Behauptung: es handle sich
um einen Flottenstützpunkt, den Deutschland im oder am Karaibischen
Meere wolle. Alle alten Schlagworte von und über Weltpolitik, von den
deutschen Ozeanbeherrschungsplänen erfüllten wieder die internationale
Atmosphäre, und es hatte wenig Erfolg, als die deutsche Regierung im
Dezember 1002 halbamtlich erklärte: das Deutsche Reich habe Bene-
zuela gegenüber genau die gleichen Absichten wie Großbritannien und
Ztalien, und „daß die Absichten unserer Regierung keine über den un-
mittelbaren Zweck hinausgehenden Ansprüche einschließen und von allen
abenteuerlichen Hintergedanken frei waren und sind“.
Am Tage darauf wurde die Blockade gemeinsam von Großbritannien
und dem Deutschen Reiche über einige venezolanische Häfen verhängt.
Das deutsche Kanonenboot „Panther“ wurde, nachdem die Blockade vier
Wochen gedauert hatte, durch venezolanische Küstenwerke beschossen,
kam zeitweise in eine militärisch unangenehme Lage und zerstörte dafür