Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

216 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras#. 1905—1908. 
  
üblichen Formen. Das heute noch gebräuchliche Wort der „Hemde- 
ärmeldiplomatie“ führt sich auf sein damaliges Walten als Bevollmäch- 
tigter Benezuelas zurück. Nebenbei bemerkt, wurde durch die Tätigkeit 
Ar. Bowens wieder eine nicht ungerechtfertigte Mißstimmung in Deutsch- 
land erzeugt. 
Man konnte sich in Deutschland nicht verhehlen, daß die öffentliche 
Meinung der Vereinigten Staaten nicht nur mit Mißtrauen gegen die 
deutsche Politik erfüllt war, sondern ihr ohne weiteres die abenteuerlich- 
sten und unsinnigsten Pläne zutraute, ganz einerlei, wer sie nun erfunden 
hatte. Darin lag eine große Gefahr enthalten, denn wenn auch ein Krieg 
zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten ein in sich ebenso wider- 
sinniger Gedanke war wie jene deutschen Eroberungspläne in Brasilien 
und in Mittelamerika, so durfte man sich doch nicht darüber unklar sein, 
daß schlechte Beziehungen zwischen Deutschland und den Bereinigten 
Staaten schweren Nachteil mit sich bringen konnten. DOie öffentliche 
Meinung dort ist nicht nur von großer Macht, sondern wird, sobald sie 
sich mit gehöriger Stärke und Ausdauer äußert, für die Regierung maß- 
gebend. War nun die öffentliche Meinung durch englische, französische 
und polnische Pressearbeit mit tiefem Mißtrauen gegen Oeutschland er- 
füllt worden, so konnte die deutsche Politik diesen politischen Faktor nicht 
ignorieren, ohne ihn freilich überschätzen zu dürfen. Oie so oft gedanken- 
los gebrauchte Wendung, daß zwei Mächte einander nicht verständen, 
traf hier zu, wenn schon hauptsächlich nur einseitig, nämlich auf die Ameri- 
kaner. Ihnen war das Wesen des Oeutschen, hauptsächlich aber der deut- 
schen Politik, durchweg unverständlich, sie vermochten nicht, sich zu einer 
sachlichen Untersuchung und Beurteilung der komplizierten Berhältnisse 
des Deutschen Reiches und seiner politischen Lage aufzuschwingen. Dazu 
kam, daß ihnen von England aus in einer ihrem Verständnisse angemessenen 
Weise und, was sehr wichtig war, in ihrer eigenen Sprache fortwährend 
die Perfidität der deutschen Politik und Absichten behauptet und durch ge- 
schickte Lügen bewiesen wurde. 
Angesichts der Stimmung in England konnte man deutscherseits 
auf eine Verbesserung der deutsch-britischen Beziehungen in absehbarer 
Zeit kaum rechnen, zumal auch die sachlichen Gegensätze sich verschärften. 
Es lag also auf der Hand, daß es ein Borteil für die schwierige deutsche 
Position sein würde, wenn das Berhältnis mit den Bereinigten Staaten 
sich besserte. Der notwendige Anfang war, daß den verhetzenden eng- 
lischen Einflüssen ein Gegengewicht geschaffen würde. Dazu sind die 
verschiedensten Mittel versucht und eine Reihe von Wegen verfolgt worden. 
Man befleißigte sich deutscherseits schon von der Jahrhundertwende an 
einer ganz besonderen Liebenswürdigkeit den Vereinigten Staaten gegen-
	        
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