Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die Entente Cordiale — Marokko — Hull — Kiel. 225 
  
Gleichzeitig mit diesem öffentlichen Abkommen hatten die beiden 
Mächte ein geheimes Abkommen abgeschlossen, das erst im November 
1911 veröffentlicht worden ist. 
Artikel 1 dieses Abkommens bestimmte, daß die gegenseitigen Ver- 
pflichtungen des öffentlichen Abkommens unberührt blieben, wenn die 
beiden Mächte sich durch die Gewalt der Umstände veranlaßt sehen sollten, 
ihre Politik hinsichtlich Agpptens oder Marokkos zu ändern. Dies wurde 
folgendermaßen spezialisiert: 
Artikel 2 sichert Großbritannien die freundliche Bereitwilligkeit 
Frankreichs zu: falls die britische Regierung Reformen in Agppten für 
wünschenswert halten sollte, welche das gesetzgeberische Spstem in Agyppten 
denjenigen anderer zivilisierter Länder annähern sollten. — Es handelte 
sich in erster Linie um eine eventuelle Aufhebung der Kapitulationen 
in Agppten. Oie britische Regierung sagt die gleiche Bereitwilligkeit 
für ähnliche Verhältnisse in Marokko zu, setzt bier also schon ein fran- 
zösisches Protektorat über Marokko voraus. 
Artikel 5 erörtert die Möglichkeit, daß der Sultan von Marokko keine 
Autorität mehr in seinem Lande habe. Für diesen Fall kommen die 
beiden Regierungen überein, daß das Hinterland von Melilla, Ceuta und 
anderen Presidios in den spanischen Einflußkreis fallen, die Verwaltung 
der Küste von Melilla bis zum Sebuflusse Spanien anvertraut werden 
solle. Spanien müsse sich verpflichten, die Artikel 4 und 8 des öffent- 
lichen Abkommens formell anzuerkennen und jene seiner Autorität unter- 
stellten oder in seinen Einflußkreis ausgenommenen Gebiete weder ganz, 
noch teilweise in andere Hände gelangen zu lassen. 
Artikel 4 bestimmt, daß im Falle der Ablehnung Spaniens das eng- 
lisch-französische Abkommen gleichwohl sofort in Kraft treten solle. 
Dieses geheime Abkommen ergänzte also das öffentliche in einer 
Weise, daß die in diesem gemachten Andeutungen, als ob Frankreich 
auch nur daran dächte, den „politischen Zustand“ in Marokko bestehen 
zu lassen, annulliert wurden. Auch hier tritt wieder der Unterschied zwi- 
schen den Verhältnissen Agpptens und denen Marokkos hervor: Agypten 
wurde damals schon seit geraumer Zeit durch Großbritannien tatsächlich 
regiert. Daß die Kapitulationen früher oder später einmal aufgehoben 
werden würden, war nur eine Frage der Zeit, wie sie auch heute noch 
eine solche ist. Auf die Regierung Marokkos hatte Frankreich damals 
aber keinen maßgebenden Einfluß. Das Land und der Sultan waren 
tatsächlich noch unabhängig und selbständig. Erklärte sich Großbritannien 
also zu entsprechenden Gegendiensten in Marokko bereit, so setzte es damit 
eine vorherige Eroberung Marokkos durch Frankreich voraus. Oie fol- 
genden Geheimartikel bezweckten, Frankreich zu verhindern, sich der 
Graf Reventlow, Deutschlande auswärtige Polltik. 15
	        
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