Die Entente Cordiale — Marokko — Hull — Kiel. 227
Regierung und ihrer dauernden Unfähigkeit, Gesetz und Ordnung auf-
recht zu erhalten, oder infolge irgend-(l) einer anderen Ursache, deren
Vorhandensein von beiden Teilen anerkannt wird, der Status quo nicht
länger aufrecht erhalten werden kann, so mag Spanien frei sein Recht
der Aktion in dem betreffenden Gebiete ausüben. Für diesen Fall des
Ausübens verpflichtet sich Spanien, unter keinen Umständen die Hilfe
einer fremden Macht anzurufen. Wenn militärische Aktionen notwendig
sind, soll die andere vertragschließende Macht unmittelbar in Kenntnis
gesetzt werden.“ Im übrigen erörtert das Abkommen alle denkbaren
Einzelheiten und verpflichtet die beiden Mächte, alle öffentlichen Ar-
beiten in Marokko und alle wirtschaftlichen Unternehmungen nur fran-
zösischen und spanischen Unternehmern zu übergeben.
Dieses Abkommen wurde der englischen Regierung amtlich mit-
geteilt, und die Note wies besonders darauf bin, daß es vollinhaltlich
geheim zu halten sei. Lord Lansdowne antwortete darauf: „OSch brauche
nicht zu sagen, daß der vertrauliche Charakter der Konvention zwischen
dem Präsidenten der französischen Republik und dem Könige von Spanien
betreffend die französischen und die spanischen Interessen in Marokko
von uns in vollem Maße anerkannt und gebührende Beachtung
finden wird.“
Diese vier Abkommen und der letzterwähnte französisch-englische
Notenwechsel bilden also ein „Ganzes“, allerdings in eigentümlicher
Weise. Das öffentliche und das geheime Abkommen zwischen Frank-
reich und England ergänzen einander zum Teil, teils widersprechen sie
einander. Sie sind ein Muster diplomatischer contradictio in adjecto.
Das öffentliche und das gebeime französisch-spanische Abkommen wider-
sprechen einander von A bis 8. Das öffentliche Abkommen sollte nur
täuschen, außerdem keinen Verdacht der Tatsache aufkommen lassen, daß
Frankreich und Spanien sich über eine Teilung Marokkos geeinigt hätten.
Der französisch-englische Notenwechsel dagegen gab Großbritannien
einerseits die Sicherheit, über alles, was von Frankreich und Spanien ge-
schehen sollte, auf dem laufenden zu bleiben, anderseits bestätigte er
diesen beiden Mächten, daß die britische Regierung mit der beabsich-
tigten Teilung und der Art ihrer Ausführung einverstanden war.
Ehe wir auf die politischen Ereignisse, die folgten, eingehen, ist die
Beantwortung der Fragen nötig: 1. wie geartet war die internationale
Stellung Marokkos bis dahin, 2. welches war die bisherige Stellung
Deutschlands zu Marokko?
Für die internationale Stellung Marokkos war die Konvention von
Madrid vom Zahre 1880 maßgebend. Sie bildete das Ergebnis der ersten
internationalen Marokkokonferenz.
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