228 S. Abschnitt. Bor und nach Allgeciras. 1905—1908.
Die Madrider Konvention enthielt als Hauptpunkt den Artikel (18):
„Marokko erkennt allen auf der Konferenz von Madrid vertretenen Mäch--
ten das Recht der meistbegünstigten Nation zu!“
Bis dahin, auch das ist für die Entwicklung der Marokkofrage wichtig,
war das Recht der Meistbegünstigung auf Großbritannien und Frankreich
beschränkt gewesen. Im übrigen beschäftigte sich diese Konvention mit
der Regelung des Konsularwesens in Marokko und dem der sogenannten
Schutzbefohlenen, dem Eigentumserwerbe in Marokko von Ausländern
uss. Das Deutsche Reich arbeitete auf der Konferenz in engem Ein-
vernehmen mit Großbritannien, und es waren hauptsächlich diese beiden
Mächte, welche die Ausdehnung der Meistbegünstigung, also die gleiche
Handelsfreiheit für alle, durchsetzten. In der Madrider Konvention
wurden der Sultan von Marokko und seine Regierung als eine tatsächlich
unabhängige Macht betrachtet und behandelt.
Nähere Beziehungen Frankreichs zum marokkanischen Reiche er-
gaben sich ohne weiteres aus der Lage Marokkos. Ourch Algerien war
Frankreich auf einer langen Landgrenze unmittelbar Nachbar des marok-
kanischen Gebietes geworden. Südlich von Marokko lag das französische
Senegambien, nach Mittelafrika zu schloß sich die Wüste Sahara an.
Es konnte nicht fehlen, daß die seit Zules Ferrpy in den achtziger und
später unter Hanotaux in den neunziger Jahren immer großzügiger arbei-
tende Kolonialpolitik Frankreichs in ihrem VBerlaufe von selbst den Ge-
danken wachrief, durch Einverleibung Marokkos in das afrikanische Ko-
lonialreich Frankreichs dieses zu einem gewaltigen zusammenhängenden
Gebiete zu machen. Solange Bismarck am Ruder war, ermutigte er
bekanntlich Frankreich zu jeder kolonialen Unternehmung. Er hatte den
Franzosen 1881 gestattet, Tunis zu nehmen; leicht und schnell war dieses
Gebiet, wenn auch nicht der Form nach, so doch de facto in Frankreichs
Besitz übergegangen. Mit Marokko lag die Sache anders: Hier hatte
man ein großes unerforschtes, teils sehr gebirgiges Land, eine wilde und
kriegerische Bevölkerung und einen Sultan, der mit seiner Regierung es
gut verstand, diejenigen europäischen Mächte, die er für seine Gegner
hielt, gegeneinander auszuspielen. Dazu kam, daß in den achtziger und
neunziger Jahren Großbritannien seine Aufmerksamkeit auf Marokko
gerichtet zu haben schien. Außerdem hatte Frankreich durch andere afri-
kanische Kolonialfragen und daraus entstehende Reibungen mit Groß-
britannien zuviel zu tun, um sich mit voller Kraft gegen Marokko wenden
zu können. Algerische Grenzkämpfe an einer übrigens niemals fest-
gelegten Grenze wurden dagegen fleißig benutzt, um diese Grenze immer
mehr in das marokkanische Gebiet hineinzuschieben. Alles in allem:
Marokkos Bedeutung und das Endziel: seine Eingliederung in den fran-