Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

230 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903—190 8S. 
insbesondere Bülows. Tatsache sind aber die Verhandlungen Frankreichs 
mit Spanien in den Jahren 1901 und 1902. Trotz der Geheimhaltung 
wurden die Verhandlungen der britischen Regierung bekannt, sie legte 
sich bei Spanien ins Mittel. Das Kabinett Sagasta trat zurück, das neue 
Kabinett Silvela brach die Verhandlungen ab. Spanien hatte die Uber- 
zeugung gewonnen, daß es ohne und gegen Großbritannien kein Marokko- 
abkommen mit Frankreich abschließen könne. Delcassé war also, wollte 
er seine Marokkopolitik weiter durchsetzen, auf Zusammengehen mit Groß- 
britannien angewiesen. Es bot sich als Gegenwert Agypten, und nun 
konnte auch Spanien ohne Furcht, Großbritannien zu mißfallen, auf 
neuer Basis die Verhandlungen mit Frankreich wieder aufnehmen. 
Das Deutsche Reich trat im Jahre 1873 in Beziehungen zu Marokko: 
ein deutscher Geschäftsträger wurde für Marokko vorgesehen. 1889 be- 
suchte eine marokkanische Sondergesandtschaft Berlin, und im Zahre darauf, 
1890, wurde ein Handelsvertrag zwischen der marokkanischen und der 
deutschen Regierung abgeschlossen. Damals, in der Caprivischen Periode 
unbedingten Anschlusses an Großbritannien in allen kolonialen Fragen, 
setzte die deutsche Regierung die Unterzeichnungsmächte der Madrider 
Konvention von dem Inhalte dieses Vertrages vor seiner Natifizierung 
in Kenntnis und teilte ihnen gleichzeitig mit, daß eine Ratifizierung nur 
dann erfolgen würde, wenn sie nichts dagegen einzuwenden hätten. Die- 
ses war nicht der Fall, und so wurde der Vertrag ratifiziert. In Marokko 
selbst betätigte sich das Deutsche Reich überhaupt nur in engem Einver- 
nehmen mit Großbritannien, ob es sich um Expeditionen von Forschern 
oder um Unterstützung wirtschaftlicher Agenten handelte. Ourch dieses 
Zusammenarbeiten entstand in Frankreich zeitweise der Glaube, Groß- 
britannien und Deutschland beabsichtigten, Marokko unter sich zu teilen. 
Tatsächlich ist das wohl von der deutschen Regierung ebensowenig beab- 
sichtigt gewesen wie eine Teilung Marokkos zwischen Deutschland, Frank- 
reich und Spanien. Schon früh in den neunziger Jahren gab es freilich 
Strömungen in Oeutschland, die mit steigendem Nachdrucke auf den Wert 
Marokkos für das Deutsche Reich hinwiesen. Deutsche Forscher waren er- 
füllt von den Zukunftsmöglichkeiten, welche das Land mit seinen Küsten 
und Häfen nach jeder Richtung hin bieten könne. Von Gerhard Nohlfs 
bis Theobald Fischer herrschte Einstimmigkeit über die glänzenden wirt- 
schaftlichen Aussichten Marokkos. Daß die deutsche Regierung aber, sei 
es unter Bismarck, unter Caprivi oder unter Hohenlohe, jemals ernstlich 
an einen Landerwerb gedacht habe, kann man als ausgeschlossen bezeichnen. 
Auch dem Fürsten Bülow hat eine derartige Politik von Anfang an fern- 
gelegen. Ebenso wie im fernen Osten, so stand Bülow hier auf dem Stand- 
punkt: keine Gebietserweiterung, keine Eroberungspolitik, dagegen Auf-
	        
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