Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die Entente Cordiale — Marokko — Hull — Kiel. 231 
  
  
rechterhaltung des Prinzipes der offenen Tür. Oer deutsche Botschafter 
in Paris, Fürst Radolin, erklärte 1901 von seiten seiner Regierung, daß 
diese ein unabhängiges Marokko wolle mit völliger Handelsgleichheit. 
Sollten die Ereignisse eine Beeinträchtigung der marokkanischen Unab- 
hängigkeit notwendig machen, so verlange Deutschland befragt und be- 
teiligt zu werden. Ob, wie behauptet, Chamberlain in der Zeit seiner 
Entente-Angebote an Deutschland der deutschen Regierung eine Teilung 
Marokkos unter Zuziehung Spaniens, aber ohne Frankreich, vorgeschlagen 
hat, und wenn — unter welchen Bedingungen, bleibe dahin gestellt; auf 
alle Fälle wäre das Angebot ohne Wert gewesen. 
1902 erklärte Fürst Bülow einem Pariser Journalisten das Folgende: 
„Die Marokkofragen berühren Deutschland weniger, weil unsere Inter- 
essen dort noch geringer sind als in China und, offen gesagt, ich zähle 
die marokkanische Frage nicht zu denjenigen, welche die Aufmerksamkeit 
der deutschen Diplomatie in unmittelbarer Weise auf sich ziehen. Wir 
freuen uns, daß Frankreich und Italien, die im Mittelmeer große und 
ernste Interessen haben, sich hierüber verständigt haben. Wir verfolgen 
im Mittelmeer keine aktive Politik.“ Deutschland verlange dagegen die 
ehrliche und dauerhafte Aufrechterhaltung des Status quo und der offenen 
Tür. „Wir verlangen nichts anderes, und das ist das Interesse, welches 
wir zu verteidigen haben, wenn es bedroht sein sollte. Wie ich soeben 
sagte, ist die Situation in ihrer Gesamtheit eine sehr günstige, und wir 
wünschen, daß der politische Horizont auch in Zukunft keine schwarzen 
Punkte aufweisen möge.“ 
Mitteilungen eines Staatsmannes, die an einen Journalisten gerichtet, 
somit für die Offentlichkeit bestimmt sind, haben selbstverständlich nicht 
den Wert eines Dokumentes. Ebensowenig kann bezweifelt werden, daß 
sie unter Umständen auch angewandt werden, um eine der Meinungs- 
äußerung entgegengesetzte Politik zu verschleiern. In diesem Falle je- 
doch findet man die öffentliche Stellungnahme des Fürsten Bülow nicht 
nur in vollem Einklange mit der Haltung, welche die deutsche Politik 
Marokko gegenüber vorher stets eingenommen hatte, sondern auch mit 
derjenigen, welche Bülom als Staatssekretär und als Reichskanzler in 
häufigster Wiederholung und bei jeder Gelegenheit immer wieder als 
seinen Grundsatz und seine Nichtlinie hingestellt und auch nach Kräften 
betätigt hat: keine Eroberungen, kein Gebietserwerb, anstatt dessen offene 
Tür. Im Deutschen Reichstage äußerte Bülow sich unmittelbar nach 
Veröffentlichung des französisch-britischen Abkommens vom 8. April 1904: 
Er könne zwar natürlich nicht alles sagen, aber Deutschland habe 
keinen Grund anzunehmen, daß das Abkommen eine Spitze gegen irgend- 
eine andere Macht enthalte. „Was vorzuliegen scheint, ist der Versuch,
	        
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